Die ultimative Schottland Erfahrung
Teil 2
Es ist ziemlich genau ein halbes Jahre her, seit wir unseren Unimog mit einer Fähre verschifft haben. Damals ging es von Spanien nach Marokko. Heute checken wir auf der Stena Line ein, um von Holland nach Grossbritannien zu gelangen. Die Strecke ist fast dreimal so lang und die Fähre auch mindestens dreimal so modern. Spielkasino, Kino, verschiedene Restaurants und Bars. Gäbe es noch ein Swimmingpool, würden wir uns im 5-Sterne Hotel irgendwo in Las Vegas glauben. Wir staunen zudem auch nicht schlecht über den Alkohol Konsum auf dieser Fähre. Scheint ja wirklich so, dass keiner dieser standfesten Trinker mit dem Auto unterwegs ist. Oder vielleicht doch? Wir bereiten uns jedenfalls gedanklich nicht nur auf den Linksverkehr vor, sondern auch auf's Unberechenbare.
Die Überfahrt zur grossen Insel verläuft bei schönsten Wetter. Eigentlich sehr unbritisch. Es ist schon 20Uhr als wir nach sechseinhalb Stunden auf Wasser wieder festen Boden unter die Füsse und Reifen bekommen. Noch kurz durch den Zoll und schon fädeln wir uns im Linksverkehr ein. Mit einem links gesteuerten Fahrzeug im Linksverkehr zu fahren ist meines Erachtens noch eine Stufe unangenehmer als unsere Erfahrungen mit einem rechts gesteuerten Mietauto in den jeweiligen Ländern. Insbesondere für den Beifahrer wird es jetzt etwas mulmig, wenn er respektive sie so steuerrad- und somit machtlos den entgegen donnernden Lastwagen zu rauscht. Auf der aus Harwich führenden Autobahn finden wir uns zum Glück schnell zurecht. Nur die tiefen Tempolimits geben uns zu denken. Ob das wohl als Konsequenz des erhöhten Alkohol Konsums der von der Fähre fahrenden Automobilisten zu verstehen ist? Es dauert eine Weile, bis wir realisieren, dass in diesem Land nicht nur Linksgefahren, sondern auch in Meilen gerechnet wird. Also runter mit dem Gaspedal und auf in Richtung Dedham, wo wir ausserhalb des Dorfes einen geeigneten Platz zum Übernachten ausgemacht haben.
Kurz vor dem Eindunkeln erreichen wir unser Ziel. Die letzten Kilometer fahren wir durch sehr enge und von uralten Bäumen gesäumte Strassen. Wir sind nun so richtig angekommen. So haben wir uns England vorgestellt. Mal abgesehen vom viel zu schönen und warmen Wetter, aber voll von gespenstischen Waldpartien und verlassen zu scheinenden Ziegelsteinhäusern.
oben: typisch England: mächtige Kirchen und rote Telefonkabinen
Bei der Dorfdurchfahrt entdecken wir rechter Hand noch ein Pub. Die Küche ist zwar schon zu, aber zumindest können wir unsere Ankunft in Grossbritannien gebührend mit einem Pint feiern. Dass die Briten keinen Schaum auf ihrem Bier mögen, haben wir gewusst und finde ich persönlich auch gar nicht übel. Die Brühe, die uns aber hier serviert wird, ist zudem noch warm und wirkt auf uns abgestanden. Sehr verunsichert, ob wir hier wohl in einem schlechten Lokal gelandet sind, beobachten wir andere Pub Besucher. Das Lokal wird von uns schliesslich als gut befunden. Es liegt wohl an uns, uns an die hiesigen Vorlieben zu gewöhnen. Wir haben hierzu ja noch ein paar Monate Zeit. Jedenfalls soll das nicht das letzte Pint gewesen sein. Später lernen wir dann auch, dass die Briten ihr Bier wohl eher mit 12°C kippen, während wir in der Schweiz unsere Flaschen ja am liebsten direkt aus dem 7°C kalten Kühlschrank holen.
oben: Was zeichnet wohl das englische Bier aus? Ein Selbstversuch im Pub von Dedham
Am nächsten Tag füllt sich unser Parkplatz blitzschnell mit Badegästen und Wanderer. Bevor wir möglicherweise zugeparkt werden, stellen wir uns um und geniessen danach noch ein paar unbeschwerte Stunden mit Sightseeing im Dorf.
In Ipswich besorgen wir uns noch kurz unsere lokalen SIM Karten. Auch hier befolgen wir unsere Strategie, lieber zwei verschieden Anbieter zu haben, falls die Netzabdeckung mal von einem nicht gut sein sollte. Insbesondere im hohen Norden oder Shetland soll es da wohl Unterschiede geben.
Den Rest des Wochenendes verbringen wir dann an einem wunderschönen Wald südlich von King›s Lynn. Die Wälder hier sind schon sehr speziell. Sie erscheinen uns viel gesünder als noch in der Eifel oder auch in Holland. Grün und saftig bis an die äussersten Baumspitzen. Zudem sind sie sehr stark durchmischt mit verschiedenen Baumsorten von unterschiedlicher Grösse. Gerade die sehr alten, knorpeligen Bäume geben diesen Wälder dieses spooky Flair. Fehlt nur noch der viel beschriebene britische Nebel und wir wären mitten drin im Horrorfilm. Im warmen Sonnenlicht und ganz ohne Nebel und Dunst ist es hier aber wirklich wunderschön, ganz nach unserem Geschmack.
oben: nach "gut" kommt "besser": Parken am Waldrand von Shouldham
unten: Blick vom Küchen- und Wohnzimmerfenster...
Das uns wärmstens empfohlene Community Pub lassen wir vorerst einmal aus. Am Sonntag schliessen die schon um acht Uhr und Montag und Dienstag ist es ganz geschlossen. Wir reisen weiter, Pubs gibt es wohl an anderen Orten auch noch ein paar ;-).
Heute verlassen wir East of England und fahren in die East Midlands. Es ist warm, um nicht zu sagen heiß. Einen Einheimischen auf die momentane Wetterlage angesprochen und ob das denn hier üblich sei, erwidert mit einem unmissverständlichen «Oh No!!» Für ein paar Tage kann es schon mal so warm werden, aber lange andauern wird das nicht. Schade eigentlich, wir haben uns gerade an die sommerliche Hitze gewöhnt. Trotzdem hoffen wir, dass es noch ein wenig anhalten wird. Die Wetterprognosen sind jedenfalls auch längerfristig sehr positiv.
Das Strassennetz empfinde ich in dieser Region als eher unübersichtlich. Immer wieder ändern wir die Richtung. Uns fällt das besonders auf, da einmal der Fahrer und schon bald wieder der Beifahrer auf der Sonnenseite sitzt. Irgendwie erstaunt mich unser ineffizientes Vorankommen. Die Briten, ein Volk von Eisenbahnbauern, sollten doch von Geradlinigkeit geradezu besessen sein. Die vielen Kurven und Kreisel sind wirklich anstrengend, wir sehen sie aber als Intensiv-Training für den für uns immer noch etwas fremd erscheinenden Linksverkehr. Das schwierigste mit einem links gesteuerten Truck im Linksverkehr ist meines Erachtens die Auffahrt auf eine Autobahn in einer grossen Rechtskurve. Da befindet sich nämlich die aufzufahrende Spur genau im toten Winkel. Ohne Co-Pilotin wäre ich da echt aufgeschmissen.
Nachtlager beziehen wir heute zur Abwechslung wieder einmal an einem Fluss. Der Trent, der drittgrösste Fluss in Grossbritannien, schleicht sich zur Zeit ganz ruhig und gemächlich durch die Landschaft. Eine erste Schafherde weidet gemütlich auf der gegenüberliegenden Flussseite und schaut uns vermutlich gerade zu, als wir in der Aussenküche vorzügliche Lamb Chops vom Farmer's Shop zubereiten.
oben: Landidylle am River Trent bei Besthorpe
Wir schlafen wie Babies in dieser wunderbaren Natur und machen uns nach dem zweiten Frühstückskaffee auch schon wieder startklar. Kurz vor der Weiterfahrt rät uns ein Ortsansässiger die Autobahn Richtung Norden infolge Baustelle unbedingt zu vermeiden. So werden wir auch heute um eine kurvenreiche Strecke nicht herumkommen. Die Fahrt führt uns von Besthorpe nordwärts Richtung Gainsborough und Goole in die nächste Region des Vereinigten Königreiches nach Yorkshire and the Humber. Im Wykeham Forest steuern wir abermals auf einen Stellplatz, der uns nicht nach einer Nacht schon wieder los wird. Hier treffen wir auf eine Vielzahl von Vogelbeobachtern. Ich schreibe gerade an diesem Blog, als mich ein gut getarnter, sprich in Naturfarben gekleideter Brite aus weiter Distanz anflüstert : «Nimmst du gerade auf?» fragt er mich. «Wie bitte?» «Zeichnest du auf?» Erst beim zweiten mal kapiere ich, dass der gute Mann denkt, ich nehme hier gerade Vogelstimmen auf. Ich gebe Entwarnung. «Nein, nein, du störst mich hier nicht». Er klärt mich auf, dass wir hier wohl inmitten eines besonderen Waldes mit seltenem Vogelbestand sind. Der Nightjar wird heute Nacht wohl nicht zu überhören sein. Der Birdwatcher trillert mir kurz vor, wie sich das dann wohl anhören wird. Der Nightjar ist angeblich der einzige Vogel, der nicht quer auf dem Ast sitzt, sondern längs. Interessant, denke ich mir, was diese Vogel Fans so alles herausfinden. Es gibt in diesem Wald mehrere Hinweise auf die wohl einzigartige Vogelpopulation. Auch der eine oder andere Raubvogel scheint hier nicht selten vorzukommen. Am folgenden Tag hieven wir wieder einmal unsere Fatbikes herunter und gehen auf Entdeckungsreise.
oben: Vogelbeobachter in Aktion
unten: die einen redigieren, die andern fotografieren
Und hier die Impressionen vom spooky Wykeham Forest
Nach drei Nächten in diesem Fabelwald wird es nun wohl Zeit Schottland wieder einen Schritt respektive eine Fahrt näher zu kommen. Wir sind nun schon seit einer Woche auf der grossen Insel und haben das Meer doch kaum gesehen. Klar doch, da fahren wir nun hin. Die Route führt uns aus dem North York Moors Nationalpark über gefühlte 270 Kreisel Richtung Norden bis Seaham. Da installieren wir uns direkt am Meer auf einer Klippe und mit Sicht auf eine kleine Bohrinsel(?), aber auch schöne Strände mit bizarren Felsformationen. Hier sind wir nun nicht mehr die einzigen, die hier übernachten. Der Parkplatz am Nose Point II ist zweigeteilt. Auf dem oberen steht die Weissware in kuscheliger Distanz zueinander. Auf dem unteren stehen wir ganz für uns alleine. Kurz nach unserer Ankunft fährt dann auch die Polizei mal kurz auf den Platz. Für Ruhe und Ordnung ist aber hier gesorgt, also machen die sich auch wieder aus dem Staub. Gut so!
oben: endlich wieder Meersicht am Nose Point bei Seaham
unten rechts: Gedenktafeln und -objekte schmücken die Klippen
Die Klippe ist ja hier mehrheitlich nach Osten ausgerichtet. Mit Sonnenuntergang im Meer wird da also nichts. Um den Sonnenaufgang zu erleben, müsste man schon um 4.30 Uhr auf der Matte stehen. Damit wird also auch nichts. Wir geniessen aber trotzdem sowohl die romantische Abend- wie auch die frische Morgenstimmung. Ab 6.00 Uhr versteht sich. Die Klippe ist voll von kleinen Gedenktafeln von Verstorbenen. Die sind doch hoffentlich nicht alle über die Klippe in den Tod gesprungen? Wir brauchen dringend Aufklärung auf diese Frage, denn der Gedanke schockiert uns. Ein einheimisches Paar erklärt uns schliesslich, dass die Angehörigen der Verstorbenen diesen Ort einem Friedhof vorziehen würden. Insbesondere, wenn das Meer im Leben derjenigen, die schon von uns gegangen sind, eine besondere Rolle gespielt hat. Ja der Ort ist wirklich sehr speziell, beruhigend und friedlich. Bei der Morgenfitness sehe ich gar unweit vom Strand eine Delphinschule, wie sie elegant dahinzieht.
Elegant davonziehen ist auch unser Plan. Wir sind uns aber noch nicht sicher, ob wir heute schon die über 200 Kilometer bis Schottland, sprich Edinburgh fahren wollen oder doch vorerst nur mal halbe Strecke. In Washington verlassen wir zudem die Autobahn nochmals kurz in der Hoffnung mit einer Ortstafel «Washington» posieren zu können. Ganz nebenbei fahren wir auch noch beim Washingtoner Lidl vorbei, um etwas Frischware einzukaufen. Wer hätte das gedacht, dass wir auf dem Weg nach Schottland auch noch in der Amerikanischen Hauptstadt vorbeikommen würden. Aus dem Washington Bluff Selfie mit der Ortstafel wird schliesslich nichts. Flugs zurück auf die A1, die aber schon bald von der Autobahn zur Autostrasse wird. Und dann auch noch Stau. Ausgerechnet heute, wo wir eine ziemlich lange Strecke vor uns haben. Wir weichen aus auf die A697 und sind schon bald wieder im bekannten Strassenmuster. Kurve links, kurve rechts, Kreisel, Kuppe, Senke und dann das ganze nochmals von vorne. Irgendwann heisst es dann endlich «Welcome to Scotland». Wir überqueren den Grenzfluss Tweed und fahren ein in Coldstream. Was nach einem Indianername klingt, ist nichts anderes als das bezaubernde Städtchen an der Grenze zu England. Wir sind da! Nach drei Wochen der Anreise stehen wir heute am Tor unseres nächsten Abenteuers. Wir freuen uns sehr auf die ultimative Schottland Erfahrung.
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