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1.8 Von roten Weinen zum Schwarzen Meer

Die Weiterfahrt nach dem erfüllenden Tag im Kinderheim von Panatau erweist sich doch etwas anstrengender als gedacht. 50 Kilometer Strecke, da denkt sich wohl jeder, eine knappe Stunde wird wohl reichen. Nicht im Unimog und schon gar nicht auf Nebenstrassen in Rumänien. Unsere Strecke führt uns jetzt mehr oder weniger strickt südwärts die Buzau hinab bis Cislau. Ab hier fahren wir dann eine Abkürzung über den Trans Cislau einige Spitzkehren hinauf und wieder hinunter. Wir sind hungrig und möchten uns eigentlich gerne an einem schattigen Platz etwas stärken. Aber damit wird nichts. Die Strassen sind zwar verkehrsarm, aber eng und die Ausfahrmöglichkeiten äussert selten. In einem kleinen unbedeutenden Dorf biegen wir schliesslich links ab und getrauen uns gleich hinter dem Abzweiger rechts anzuhalten. Verschnaufpause, ein hart gekochtes Ei und Wasser, viel Wasser. Die Strecke, die nun folgt wollte partout nicht vom Locus Routenfinder vorgeschlagen werden. Auch Google Maps hat die folgenden Kilometer bis kurz vors Ziel nie vorgeschlagen. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Strasse gross genug sein muss. Wenn wir es schaffen, sparen wir uns mindesten 20 Kilometer auf der Nationalstrasse. Mal ganz abgesehen vom Diesel, den wir uns sparen können, sind für mich kleine Nebenstrassen einfach viel abenteuerlicher. Und darum sind wir ja hier, um Abenteuer zu erleben. Wer wagt gewinnt.


Nun wirkt die Strecke menschenleer. Ab und zu weicht der Asphalt einer Naturpiste, im grossen Ganzen geht es aber gut voran. Nicht mit 50 Stundenkilometer, vielmehr mit 15 bis 20 und bei tiefen Schlaglöchern halt manchmal auch im Schritttempo. Ländliche Gegend vermischt sich mit Wildnis und hier und da kommen wir auch an kleinen Ansammlungen von Häusern vorbei.


Nach etlichen Kurven, rauf und runter tut sich uns nach La Marginea eine neue Welt auf. Wir stehen am Nordrand der Walachei und blicken nun auf die Getreidekammer Rumäniens. Es bietet sich uns ein Weitblick von West über Süd bis Ost, wie wir ihn das letzte Mal auf der Transalpina hatten. Nur hier halt ganz ohne Berge. Einzig zu unseren Füssen erheben sich ein paar Weinberge des Dealu Mare, einer davon ist unser Tagesziel, das Weingut LacertA.


LacertA Estate im Dealu Mare

Die letzten Meter hinauf aufs Weingut fühlen sich nobel an. Wir fahren dem Herrschaftshaus entgegen, sind einmal mehr froh am Ziel angelangt zu sein und freuen uns riesig Larisa und Walter, die bodenständigen Mitbesitzer von LacertA, nach so vielen Jahren wiederzusehen. Zu unserer Rumänien Zeit war Walter sowohl mein Hoflieferant mit seinen vorzüglichen Weinen, als auch ein guter Kunde mit seinem Austrian Business Club. Dass Walter ein waschechter Österreicher ist, habe ich bis anhin noch nicht erwähnt, spätestens wenn er aber einmal in Singlaune kommt, lässt sich das nicht mehr verbergen. Von Fendrich über Ambros, EAV und Falco kennt er ziemlich alle Texte seiner singenden Landsleute. Und wenn er mal nicht gerade mit Herz und Seele singt, dann macht er mit genauso viel Liebe und Hingebung exzellente Weine. Ich mag da ja ein wenig voreingenommen sein, aber die LacertA Weine sind meines Erachtens mit Abstand die besten, die man aus Rumänien bekommen kann. Und die Messlatte liegt da verdammt hoch. Wer sich bei den neuen, der Neuen Welt Weinen etwas auskennt, der weiss wovon ich spreche.


Ein Stellplatz inmitten der besten Weinreben

Gleich nach der Stellplatzeinrichtung und einer erfrischenden Dusche mitten im Weinberg sind wir mit zwei österreichischen Ehepaaren zur Weinverkostung eingeladen. Die sechs Weissweine haben wir durch unser verspätetes Dazustossen leider verpasst. Wir steigen gleich bei den von uns eh bevorzugten Rotweinen ein. Auch hier produziert LacertA sechs verschiedene Sorten, von denen neben den klassischen Pinot Noir, Cabernet Sauvignon, Shiraz oder Merlot vor allem der heimische Feteasca Neagra heraussticht. Ein unglaublich kräftiger, etwas rauchiger vollmundiger Wein mit gutem Tanin und viel Charakter. Ein absolutes Muss auf der reichen Palette der Rumänischen Spezialitäten.


Im Nachhinein war es ja vielleicht auch unser Glück, dass wir erst bei den Rotweinen eingestiegen sind, denn zwölf so fantastische Weine hätten wir wohl kaum kontrolliert stemmen können. Nach der Verkostung verwöhnen uns die Hausherren noch mit einem köstlichen Dinner mit allem, was das Herz begehrt. Der tolle Abend endet dann beim, ja nennen wir es einmal, österreichischen Karaoke.


Die Gastfreundschaft endet aber keinesfalls hier. So spontan, wie wir aufs Weingut eingeladen wurden, so spontan offerieren uns unsere Freunde auch in die Verlängerung zu gehen und noch mal einen vollen Weinverkostungstag anzuhängen. Ob wir es nun als berufliche Fortbildung oder als Eintauchen in die rumänische Kultur betrachten wollen, für uns sind diese wundervollen Momente mit unseren Freunden auf dem Weingut Teil unserer Abenteuer und mit ein Grund, warum wir zur langen Reise überhaupt gestartet sind.


Fussmarsch durchs Weingut LacertA

Am nächsten Morgen geht es zuerst mal auf eine knapp stündige Tour durch die Rebbergen. Um acht Uhr früh zum Abmarsch bereit zu stehen, fällt uns nicht gerade einfach nach dem überschwenglichen Abend. Der ambitiöse Zeitpunkt ist aber nicht der eisernen österreichischen Disziplin, sondern eher den Temperaturvorhersagen geschuldet. Wir erwarten auch heute wieder Mittagswerte von weit über 30°C. Da macht es durchaus Sinn, die körperlich anstrengenderen Aktivitäten auf die frühen Morgenstunden zu legen. Der Fussmarsch ist gespickt mit interessanten Informationen unserer Gastgeber über das Gut, die Weinherstellung und die lokalen Herausforderungen.


Die Geheimnisse der Destillerie auf den Punkt gebracht

Nach dem Frühstück gibt es dann bereits eine kleine Verschnaufpause, bevor wir dann zur Grappa Verkostung in die Destillerie fahren. Wohlgemerkt es ist noch nicht mal Mittag und unser zweiter Programmpunkt des Tages ist Schnapsverkostung! Ein LacertA Wochenende braucht also viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Es ist intensiv und daher wohl auch so wunderschön.


Der Aqua Nobile Grappa von LacertA ist zur Zeit noch ein Produkt in der Herstellung. Wir fungieren sozusagen – und sehr gerne - als Vorkoster. Das 72-prozentige Destillat wird für uns auf zirka 40 Prozent verdünnt. Ja Gott sei Dank! Brigitte und ich sind sonst beide nicht so scharf auf Hochprozentiges.


Ein Grappa Brand, den man sich merken sollte...

Dieser Aqua Nobile und das ganze Drum und Dran der Verkostung in der Brennerei macht es aber zum einmaligen Erlebnis und den Grappa auch für uns zum Hochgenuss. Walter wäre vermutlich auch ein guter Hotelier geworden. Im Storytelling ist er auf jeden Fall ein wahrer Meister, genauso wie als Weinmacher und Marketeer. Nach einem gemütlichen Mittagessen und als Krönung des heutigen Tages gibt es noch eine vertikale Blindverkostung unseres Lieblingsweins, des Cuvee IX.


Kenner und Geniesser bei der Arbeit / Verkostung

Ein Verschnitt von Cabernet Sauvignon, Merlot und dem unvergleichlichen Feteasca Neagra. Die Jahrgänge von 2011 bis 2016 werden in zufälliger Reihenfolge und ohne zu wissen, um welchen Jahrgang es sich gerade handelt, verkostet, bewertet, diskutiert und nochmals verkostet. Das Ziel ist keinesfalls sich über etwas einig zu werden oder gar den richtigen Jahrgang zu erraten, sondern einfach jeder für sich zu argumentieren, was schmeckt und was nicht. Glücklicherweise sind Brigitte und ich in der Wahl unseres Favoriten im Einklang. Der 2016, der jüngste der Verkosteten, soll etwas Platz in unserem mobilen Weinkeller bekommen.


Auch der zweite Abend klingt nochmals sehr gemütlich beim gemeinsamen Abendessen aus. Und wer denkt, dass man nach einer Degustation in der Brennerei und einer Vertikalverkostung nur noch auf Wasser setzt, der verkennt die Grosszügigkeit unserer Gastgeber Larisa und Walter und das Stehvermögen ihrer Gäste. Glas um Glas, Flasche um Flasche, bis zur Erkenntnis, dass morgen ja doch auch noch ein Tag ist und zwar für uns wieder Fahrtag.


Gute Weine geben aber kein böses Erwachen. So stehen wir planmässig und topfit mit unserem Unimog zur Abfahrt bereit. Ein fantastisches Wochenende geht zu Ende und wir sind unseren grosszügigen Freunden einfach nur von ganzem Herzen dankbar, dass sie einen Teil unserer Abenteuer mitgestaltet haben.



Unser Weg führt uns nunmehr von den roten Weinen über die blaue Donau zum Schwarzen Meer. Wobei die letzten beiden ihre Farbbenennung aus uns vorerst noch nicht bekannten Gründen bekamen. Natürlich können wir uns gut vorstellen, dass Johann Strauss vor über 150 Jahren noch eine «schöne blaue Donau» sah. Heute ist sie in Rumänien aber alles andere als schön (sprich sauber) und schon gar nicht mehr blau. Zuviel Schindluder wird da betrieben auf dem langen Weg bis ins Donaudelta. Fäkalien, Medikamente und resistente Bakterien sind nur die schlimmsten der Verunreinigungen. Da können sich die Deutschen und Österreicher noch lange brüsten, dass die Donau bei ihnen noch sauber ist. Würde die EU funktionieren, wie sie sollte, wäre die Situation am Schwarzen Meer doch unverändert. Ist sie aber keinesfalls.


Bevor wir uns aber auf die Sunshine Autobahn dem Sonntags-Rückreiseverkehr entgegen Richtung Constanţa machen, treffen wir zum Mittagessen einen weiteren Freund und Hotelberater Partner meiner internationalen Beratergemeinschaft in Otopeni, dem Flughafenbezirk von Bukarest. Iulian und Alexandra sind frisch verheiratet und wohl ein schönes Beispiel eines jungen erfolgreichen Rumänenpärchens. Sie sind erst vor ein paar Wochen in ihr neu erstelltes Haus eingezogen. Erstaunlich ruhig hier trotz der unmittelbaren Nähe zum Flughafen. Gepflegte Wohngegend, könnte genauso in Deutschland oder Frankreich sein.


Nach diesem herzlichen und lang versprochenen Wiedersehen geht es dann am späten Nachmittag weiter, zurück auf die Autobahn. Wir fühlen uns immer noch fit und entscheiden uns so viel Strecke Richtung Meer wie möglich zu machen. Ich wähle ein Zielort unmittelbar an der Donau bei Fertesti. Das gibt insgesamt eine Tagesetappe von fast 300 Kilometer, die längste, die wir seit Beginn der Reise machten. Ich merke es schon, Brigitte zieht es ans Meer. Am liebsten würde sie ja heute noch ganz durchfahren, aber da winkt der Fahrer ab.



Es ist bereits gegen 19 Uhr als wir am Donauufer eintreffen. Eine tolle Gegend mit viel Platz zum campieren. Wir sind in Hördistanz zur Eisenbahnbrücke, aber das ferne Scheppern der langen Güterzüge stören uns wenig. Heimatliche Gefühle werden wach. Der Zug ist schliesslich mein Lebensbegleiter. Die Lage ist wirklich idyllisch. Wäre die Donau hier noch blau, wäre es schon bald kitschig. Die hiesige Farbe des Wassers und unser Wissen über deren Qualität halten uns aber von einem kühlenden Donaubad ab.



Diese Nacht hören wir zum ersten mal so richtig, wovon wir so viel gelesen haben. Ein Konzert von Hundegebell ohne Ende. Es gibt ja immer noch massenhaft wilde Hunde in Rumänien auch wenn von 2001 bis 2008 hunderttausende getötet wurden. Der Staat hat sein Ziel der streunenden Hunde Elimination nie erreicht und die Anzahl um maximal 50% reduziert. Wir freunden uns ja immer wieder mit den niedlichen Streunern an. Auch hier an der Donau sind wir umgeben von ihnen. Sie sind aber nie wirklich störend oder gar gefährlich, sondern einfach nur hungrig, äusserst zutraulich und betteln um was Essbares.


Die vierbeinigen Streuner, omnipräsent im ganzen Land

Es ist Montag und wir setzen zum Schlussspurt unserer Fahrt in den Osten an. Heute wollen wir am Ende des Vadu Beaches einen einsamen Stellplatz finden. Direkt am Strand, im Tosen der Brandung, ohne Licht- oder sonstigen Verschmutzung. Selbstverständlich suchen wir in Constanţa nochmals einen Supermarkt auf, damit wir auch sicher gerüstet sind, um bei Gefallen, gleich mehrere Tage zu bleiben. Wir sind nun knapp 50 Kilometer nördlich der Hafenstadt und endlich heisst es «Meer in Sicht». Der Unimog kämpft sich auf unwegsamen Gelände der Strandpiste entlang. Nach dem Vadu Pescarilor Fischrestaurant hört die Piste auf unserem GPS auf. Die letzten Geländewagen sind noch unmittelbar in Strandnähe geparkt. Der Weg führt aber trotzdem noch weiter. Mit Körpersprache frage ich einen Rumänen, der sehr wichtig und breitbeinig am Ende des Weges steht, ob es denn auf dieser Sandpiste wirklich noch weitergehen würde. Er nickt und macht mir verständlich, dass ich mit meinem Fahrzeug schon noch weiter komme, für die anderen sei hier aber Schluss. Allrad rein und auf gehts. Der Sand wird aber bedrohlich weich und ich fürchte, dass meine achteinhalb Tonnen vielleicht doch schon bald versinken werden. Nach zirka 200 Meter gewinnt mein innerer Feigling und ich blase zum Rückzug. Mein erstes Steckenbleiben soll nicht ohne Begleitfahrzeug und nur 200 Meter von der Jeep-Bevölkerung weg sein. Beim Drehen verlange ich nochmals viel von FRAME's Offroad Fähigkeiten und schalte sogar die zweite Achssperre ein. Das Ablassen des Reifendrucks oder die Sandbleche halte ich ja auch noch in der Hinterhand. Da kann ja nun wirklich nichts schief gehen. Und so ist es dann auch. Wir wenden «spielend» und mit etwas Schmackes.

Schliesslich finden wir unseren Spot wenig später am Ende eines Abzweigers zum Meer. Wir stehen über der letzten Sanderhebung, kaum 20 Meter von der Brandung mit spektakulärem Meerblick und genügend Distanz zu den umliegenden Zelten.


Ein weiteres Tour Highlight: FRAME am Schwarzen Meer

Selten und ungefährlich: Quallen am Schwarzen Meer

Nun wird es Zeit in Erfahrung zu bringen, warum denn das Schwarze Meer überhaupt so heisst. Es ist zwar nicht gerade azurblau oder gar türkis, aber schwarz ist es beim besten Willen auch nicht. Wir fragen mal unsere rumänischen Nachbarn im Wildcamping und hören da viele plausible Erklärungen. Die erste basiert auf der Annahme, dass Sulfat abbauende Bakterien in den Sedimenten eine schwarze Färbung bewirken soll. Hmm, kann da heute nichts mehr davon sehen. Für uns eher glaubwürdig ist die zweite Erklärungsvariante. Die Osmanen sollen anscheinend den Himmelsrichtungen symbolisch Farbbezeichnungen gegeben haben. So stand schwarz für Norden und rot für Süden. Soweit mit Schwarzen und Roten Meer nachvollziehbar. Was aber mit dem Weissen (für Westen) und Blauen Meer (für Osten) geschehen ist, wissen die Götter. Also auch diese Variante hinkt. Bleibt natürlich Variante drei, die schlicht und einfach davon ausgeht, dass sich über die Jahrhunderte ein Übersetzungsfehler eingeschlichen hat.



Welches auch immer die Gründe sind, die dem Schwarzen Meer seinen Namen verschaffen haben, wir geniessen seinen Anblick. Nichts ist so beruhigend und inspirierend wie dieser Weitblick zum Horizont, die Füsse im weichen Sand und den Wogen der Brandung lauschend. Wir machen uns daran, wieder mal unsere Erlebnisse der vergangenen Tage aufzuarbeiten, Fotos zu sortieren, Videos zu schneiden und diese Texte zu verfassen. Unsere «Arbeitsstätte» ist die schönste, die man sich auf Erden vorstellen kann, umgeben von Natur und salziger Luft und trotzdem mit dem Luxus unseres fahrbaren Zuhauses.


Warum Overlanding Spass macht? Antwort 311: Der Frischluft-Barfuss Arbeitsplatz

Es ist nun Ende August und die Hitzeperiode scheint langsam zu Ende zu gehen. Gemäss Wettervorhersagen, sollen die Temperaturen mit dem neuen Monat endlich wieder unter die 30°C Marke fallen. Das Ende des Sommers scheint nicht mehr in weiter Ferne zu sein. Wir bekommen einen Werkstatt Termin für unsere Klimaanlage für Mittwoch in Constanţa. Bis dahin werden unsere Vorräte wohl genau noch reichen. Das eine fügt sich zum anderen und wir sind wieder «back on the road!»


Morgenstimmung am Schwarzen Meer


Von nun an geht es nicht mehr in den Süden oder Osten, es geht zurück in Richtung Nordwest. Bukarest liegt da genau auf dem Weg. Also, auf in die Grossstadt!


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