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3.5 Der äusserste Norden

Die ultimative Schottland Erfahrung

Teil 5

Vom Hexenzirkel zum Leuchtturm-Standort: Tarbat Ness

Wir sind stets auf der Suche nach ausgefallenen einsamen Übernachtungsplätzen. Mit einsam, das wird allmählich deutlich, wird nichts in Schottland. Aussergewöhnlich ist aber unser nächster Platz allemal. Nach zirka einer Stunde Fahrt von Inverness nordwärts biegen wir auf einen «single track» hinaus auf die Halbinsel nach Tarbat Ness. Hier teilt eine geologische Falte Schottland quasi in zwei Teile und genau hier steht der zweithöchste Leuchtturm des schottischen Festlands. Zur Zeit der Römer stand da noch eine Festung, später war dies der Platz eines Hexenzirkels. Das Tarbat Lighthouse wurde, wie die allermeisten seiner 200 schottischen Leuchtturm Kollegen, vor fast 200 Jahren erbaut. Sie haben alle, ohne Ausnahme, sämtliche Stürme und Widerlichkeiten unbeschadet überstanden. Da darf man dem Architekten und Erbauer, Robert Stevenson, schon mal ein Kränzchen winden. Zu jedem dieser Türme gab es dann gleich zwei Häuser dazu, damit der Leuchtturmwart und sein Assistent mitsamt ihren Familien vor Ort wohnen konnten. Der Turm, respektive die Scheinwerfer, mussten nämlich jede Nacht konstant überwacht werden, um die Sicherheit der ufernahen Schiffe zu gewährleisten. In Tarbat waren sage und schreibe schon sechzehn Schiffe gekentert, ehe dieser Turm schliesslich erbaut wurde. Ob es seither keine Unfälle mehr gegeben hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Seit den Achtziger Jahren sind Schottlands Leuchttürme automatisiert, der Beruf des Leuchtturmwartes wohl ausgestorben. Seither wurden die teilweise sehr schönen Behausungen an die Meistbietenden verkauft. Mal abgesehen von den vielen Touristen, die dir da immer wieder in den Garten laufen, stelle ich mir das Leben auf einer Leuchtturmklippe ganz spannend vor. Man muss den Wind wohl lieben und schläft natürlich besser mit Tesa Tape auf den Augen. Für uns ist das Licht in diesen Nächten kein Problem. Ehrlich gesagt, haben wir es nicht einmal bemerkt, weil die Betriebsdauer der Türme zur Hochsommerszeit infolge der sehr kurzen Nächte auf ein paar wenige Stunden beschränkt ist. Zudem haben wir ja auch die besten KCT Lichtschutz-Storen montiert, da schläfst du schon fast wie im Sarg.




Im Hafen von Latheronwheel. Für ein paar Minuten sogar alleine

Nicht tot, sondern ausgeschlafen geht es heute weiter. Immer weiter Richtung Norden. Die NC500, Schottlands North Coast Route, ist eine sehr gut ausgebaute und markierte Landstrasse mit immer wieder mal beeindruckendem Panorama. Auch die heutige Etappe bleibt unter hundert Kilometer und ist somit für uns in etwas über zwei Fahrstunden zu machen. Wir steuern auf den Hafen von Latheronwheel zu. Ein kleiner unbedeutender Port mit schönem Ausblick aufs Meer. Und, was ganz wichtig ist, das Übernachten ist da noch nicht verboten. Leider treffen wir an allzu vielen, eigentlich sehr schönen Plätzen, ein Verbotsschild. Ich bin immer der Meinung, wenn man ein Problem nur mit Verboten beseitigen kann, dann hat man das Problem nicht wirklich gelöst. Tatsache ist doch, dass zahlreiche Touristen gerne diese Panoramastrasse fahren würden und dabei auch übernachten müssen. An manchen Orten findet man anstelle der Verbotstafel glücklicherweise auch mal eine honesty box, um eine Spende für die Instandhaltung der Infrastruktur zu hinterlassen. Das macht man an so tollen Orten natürlich gerne. Bedingt aber auch, dass eine rudimentäre Infrastruktur vorhanden ist. Eigentlich reicht ja schon ein Abfallkübel. Bei dem Britischen Gehorsam sollte das doch funktionieren. Es sind zur Zeit tatsächlich 90% Briten unterwegs, der Rest sind Deutsche. Ach ja, EINEN Holländer haben wir auch noch gesichtet.


Die Klippen an der Nordostküste Schottlands


Der Hafen von Latheronwheel hat uns gleich für zwei Tage, so ruhig und erholsam ist es da. Selbstverständlich stehen wir aber auch da nie alleine. Manche kuscheln sich ganz schön nah an uns heran. Nur gut, dass wir etwas höher gebaut sind als sie selber. So bleibt unsere Aussicht eigentlich immer ungestört. Tagsüber beobachten wir unter anderem die Seemöwen, wie sie ihre Jungen in den Nestern an den Klippen füttern. Wie die Kerle sich im Wind wenden und teilweise auch komplett still zu stehen scheinen, ist einfach bemerkenswert.



Es regnet am heutigen Morgen und wir entschliessen uns den nördlichsten Punkt unserer Schottland Reise in Angriff zu nehmen. Klingt schon fast wie: «Heute erklimmen wir Mount Everest», doch ganz so dramatisch wird es wohl doch nicht. Bis anhin hatten wir ja wirklich grosses Wetterglück und wir mussten eigentlich nie bei schlechtem Wetter fahren. In der Zwischenzeit fahren wir lieber, wenn es regnet und geniessen das schöne Wetter zum Entdecken. Glücklicherweise regnet es in Schottland nie wirklich lange. Es ist ein wenig, wie in den Schweizer Bergen. Das Wetter ändert schnell und kaum hat es geregnet, scheint auch schon wieder die Sonne. So auch heute auf unserem Weg in den hohen Schottischen Norden.


Broch von Nybster en route nach Duncansby Head

Wir passieren Wick, das letzte kleine Städtchen im äussersten Nordosten des Landes. Die schönen rotblonden schottischen Hochlandrinder suchen wir hier vergeblich. Neben den tausenden von Schafen, sieht man aber immer wieder auch Kuhherden. Entsprechend führt die Strasse öfters mal über einen Cattle Grid (Viehsperre), welche die Schafe aber mit einem Wahnsinns Sprung zu überqueren wissen.


Vorerst fahren wir zum Duncansby Head. Es ist hier, wo sich bei Flut der Atlantik in die Nordsee ergiesst. Bei Ebbe ist es umgekehrt. Die Strömungen an diesem Nordwestzipfel sind entsprechend stark und gefährlich, sodass es schon mal vorkommt, dass zwischen der Britischen und den Orkney Inseln das Wasser mit zehn oder mehr Knoten (18km/h) fliesst. Natürlich ist das nicht ganz ungefährlich für die Schiffe und daher hat der Leuchtturm am Duncansby Head auch eine äusserst wichtige Warnfunktion. Wir bleiben aber für heute auf dem Trockenen, wandern über die Klippen zwischen den Schafherden hindurch und geniessen den Anblick der bizarren Felsformationen. Besonders sticht da der «Geo of Sclaites» heraus. Es handelt sich hierbei um eine Vogelklippe, in der sich tausende von Seevögel tummeln, von Basstölpel, Eissturmvögel, Skuas, Tordalken bis hin zu Krähenscharben. Ja da haben wir doch wieder was dazugelernt ;-). Das Gekreische dieser Vogelkolonien in der engen zirka sechzig Meter tiefen Schlucht ist unbeschreiblich. Noch nie haben wir in unserem Leben so etwas gesehen. Höchstens im Kino: Hitchkcock, die Vögel. Wir fühlen uns wieder einmal Eins mit der Natur. Bild und Klang passen total gut zusammen. Daher wird es auch schwierig werden, diese Atmosphäre mit Fotografie richtig wiederzugeben. Überhaupt kann keine Wiedergabe einen Besuch an solchen Orten ersetzen. Nur das eigene Erleben, die eigene Erfahrung kann einem derartig beeindruckenden Naturerlebnis gerecht werden.

oben: Duncansby Head

unten: Geo of Sclaites



Es ist aber noch nicht Endstation für heute. Einmal mehr wollen wir es heute an einen Ort der Extreme schaffen. So weit nördlich in Schottland und somit der britischen Hauptinsel, wie es mit einem Fahrzeug nur geht. Wir steuern auf Dunnet Head zu und sind schon ziemlich aufgeregt, ob wir hier überhaupt einen geeigneten Ort zur Übernachtung finden. Wir verlassen die North Coast Route und schlängeln uns zwischen kleinen Seen bis ganz hinaus zur Klippe. Kurz vor dem Leuchtturm Parkplatz und somit dem offiziellen Ende der Fahrt nach Norden sehen wir eine off-road Möglichkeit vorbei an tiefen mit Wasser gefüllten Furchen. Hier scheinen sich andere schon mal gewaltig festgefahren zu haben. Mit unserer XXL Bereifung wird uns das nicht passieren. Wir überqueren die Schlüsselstelle gleich rückwärts, damit wir im Falle von erneuten Niederschlägen in der Nacht hier morgen mühelos vorwärts wieder rauskommen. Endlich wieder einmal ein Übernachtungsplatz ganz für uns alleine und im FRAME Stil, «beyond borders», da wo Normalfahrzeuge nicht hinkommen. Zudem ist dies nun wirklich nochmals ein paar Yards nördlicher, als der als offiziell geltende nördlichste Wegpunkt Schottlands. Wir sollten uns mal beim Guinness Buch der Rekorde melden ;-).


FRAME am äussersten Norden des schottischen Festlands

Easter Head Leuchtturm auf Dunnet Head

Die Halbinsel unter unseren Füssen heisst also Dunnet Head, die Klippe auf der wir gerade die wunderschöne Weitsicht zu den Orkney Inseln geniessen nennt sich hingegen Easter Head. Dass diese exponierte Stelle eine wichtige Rolle im 2. Weltkrieg spielte, versteht sich von selbst. Aktuell ist aber auch sie hauptsächlich noch für die Birdwatchers von wirklich grosser Bedeutung.


Ab heute kann es also nur noch Richtung Süden gehen. Den Plan, auf die Shettland Inseln zu verschiffen, haben wir bereits seit Längerem aufgegeben. Die Fährverbindungen sind für unseren Geschmack nicht nur viel zu lang, sondern zu dieser Jahreszeit auch nur mit ein bis zwei Wochen Vorreservierung machbar. Das schränkt uns in unserer Reisefreiheit zu stark ein und würde eine planbare Schönwetter Überfahrt ausschliessen. Alternativ und Stand heute ziehen wir aber die Äusseren Hebriden in Betracht. Die Entscheidung dazu werden wir in Ullapool oder spätestens in Uig auf Isle of Skye treffen, von wo aus eine nur gut zweistündige Fährenüberfahrt möglich ist.


Näher am Wasser geht fast nicht mehr

Anstatt Fähre heisst es selber fahren. Die Route führt uns weiterhin über die bestens ausgebaute NC500. Nach Thurso werden Menschen rarer und Schafe immer häufiger. Die Vegetation erinnert stark an alpines Gebirge. Ähnlich den Schweizer Hochalpenpässen, einfach nur hügelig anstatt gebirgig, aber ebenso baum- und strauchlos. Die Schotten haben hier ganze Arbeit geleistet. Wo es vor wenigen Jahren noch Bäume zu haben schien, ist heute schon fast alles gerodet. Wenn wir solche rigorose Kahlschläge sehen, blutet uns das Herz. Weniger als 1% des ursprünglichen Waldes ist geblieben, mehr brauchen wir dazu wohl nicht zu sagen. ;-((


Nach gut zwei Stunden biegen wir rechts weg auf eine der vielen Single Tracks. Schliesslich erreichen wir Skerray Bay, wo wir ähnlich der Kulisse von Latheronwheel an einem kleinen von vorgelagerten Klippen geschützten Hafen einen tollen Übernachtungsplatz finden. Der Skerray Bay kann wohl als Geheimtipp bezeichnet werden, aber im Juli ist man selbst in dieser entfernten Ecke nicht alleine. Immer wieder machen wir nette Bekanntschaften mit Schotten, Engländer oder auch Deutschen und man tauscht sich gerade auch bezüglich solchen Plätzen oder Versorgungsstationen gerne aus.


Skerray Bay mit Blick auf Coomb Island

Die Wetterprognosen fürs Wochenende prophezeien sage und schreibe 27°C. In Anbetracht der vorherrschenden 15° bis 17°C ist das doch verheissungsvoll. An einem solchen Hitzetag wollen wir natürlich rasten und zwar am liebsten an einem der nun häufiger vorzufindenden Sandstrände irgendwo an der Nordwestküste. Wir haben hierfür den Oldshoremore Beach ausfindig gemacht und setzen daher unsere Reise zeitig fort.


Grüne Klippen wechseln sich mit beigen Sandstränden und dahinter immer das dunkelblaue Meer. Führt die Route mal weg vom Meer, findet man hinter jedem Hügel einen neuen Loch. Kaum eine Kurve, wo man nicht mehr irgendwo aufs Wasser blickt. Inzwischen geniessen wir die single tracks schon genauso, wie das offroad fahren. Fühlt sich an, wie auf der Achterbahn. Einmal links, einmal rechts und immer wieder rauf und runter. Der spärliche Gegenverkehr huscht schnell bei Seite und stets wird freundlich gegrüsst. Wir umrunden den Loch Eriboll und erreichen schon bald den nordwestlichste Ecke Schottlands. Erst jetzt geht es wieder vollends in südlicher Richtung weiter, entlang der angeblich noch schöneren Westküste. Ob eine Küste mehr oder weniger schön empfunden wird, ist natürlich subjektiv und hängt vermutlich auch stark vom Licht und somit vom Wetter ab. Die Westküste ist aber sicherlich wilder, zerklüfteter und weniger stark bewohnt. Sie ist aber auch bekannt dafür, dass die Mückenplage hier stärker ausgeprägt sein soll. Die Midges sind bei uns – zum Glück – komplett unbekannt. Sie sind wohl die Mini Version unserer Mücken und teilweise nicht grösser als ein Staubkorn. Blutrünstig sind, wie immer, nur die Weibchen und trotz ihrer geringen Grösse sind ihre Stiche sehr unangenehm. Selbstverständlich haben wir im Unimog auf dafür vorgesorgt. Die Dachluke und das «Schlafzimmer»-Fenster sind mit extra feinen sogenannten Blackfly-Screens ausgerüstet, denn Midges gelangen selbst durch die normalen Moskito-Screens. Somit können wir unbesorgt und jederzeit frische schottische Meeresluft in unseren vier Wänden geniessen.

In Rhiconich verlassen wir die NC Route einmal mehr, um entlang des Loch Inchard bis nach Oldshoremore zu gelangen. Die Bezeichnung Loch (See) gilt übrigens sowohl für einen Süsswassersee, wie auch für ein zum Meer hin offenen Fjord. Der Inchard gehört zu den Letzteren und überrascht uns an seiner Mündung mit einem kilometerlangen leeren Sandstrand an türkisblauen Wasser. Nur die Palmen fehlen hier und wir würden uns an diesem heissen Samstag im Juli wie in der Karibik fühlen.


unten: Impressionen von Oldshoremore Beach

ganz unten: YouTube Video über den beschriebenen Streckenabschnitt





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