So geht es also am nächsten Morgen nochmals weiter im all-wheel Modus und guter Hoffnung. Schon am ersten Steilhang zieht es Brigitte wieder vor auszusteigen und zu Fuss voranzugehen. Kaum ist sie ein paar Meter weg vom Fahrzeug, ertönt ein scheusslich grell surrender Piepton in meiner Fahrerkabine. Ein Alarmton, den ich so noch nie gehört habe. Mein erster Gedanke, es muss was mit der Allradschaltung zu tun haben. Der Stresslevel steigt schon wieder ins Unermessliche und wir haben kaum ein paar hundert Meter geschafft. Ein Blick auf das Navigationstablet schafft Erleichterung. Es handelt sich um eine Hitzewarnmeldung der Behörden. Temperaturen von 43°C werden heute erwartet. Betrifft ja vermutlich eher die Regionen im Tal. Eine Notfallnummer wird gleich mitgeliefert. Warum ich so was auf mein Navi bekomme, keine Ahnung. Irgendwie muss ich bei der Locus Map App die entsprechende Notifications angeklickt haben. Für mich bedeutet das jedenfalls Entwarnung. Meine Maschine scheint ja doch in Ordnung zu sein. Das ist es, worauf es mir in dieser Situation ankommt.
Wie sich später herausstellt, hat auch Brigitte diese Nachricht auf ihr Handy bekommen. Ganz weg von Strahlungen scheinen wir also noch nicht zu sein. Netzwerk zu haben stört uns aber nicht. Im Notfall ist das immer gut. Ansonsten gibt es auch noch das Satellitentelefon, das haben wir aber zur Zeit noch nicht an Bord.
Wie am Vortag mit der Drohne rekognosziert, treffen wir kurze Zeit später auf einen unscheinbaren Trampelausfallweg von der sonst schon kleinen Piste. Er führt uns direkt auf eine Kuppe, zwischen Tannen und verhältnismässig niedrigem Gras. Wir haben es geschafft. Das ist er. Unser Rückzugsort, unser kleines Paradies. Unser Shangri-La ist gefunden. Hier wollen wir für die kommenden Tage ausspannen, uns nicht um die weitere Strecke oder einen nächsten Schlafplatz kümmern müssen. Wir sind gespannt, was zuerst zum Problem werden wird, Mangel an Wasser, Strom, Essen oder vielleicht doch unsere Ungeduld? Unser erster Autarkietest kann beginnen.
Wir richten uns sorgfältig ein. Das heisst ich rangiere unseren Unimog hin und her bis er perfekt steht. Zur Aussicht, bezüglich Schattenwurf und natürlich, dank der Druckluftkissen, flach.
Wir geniessen ja das Reisen in vollen Zügen. Aber auch das Rasten hat seinen Reiz. Insbesondere, wenn man weiss, bezüglich der Hitzewelle alles richtig gemacht zu haben. Hier oben, inzwischen auf zirka 1'170 m.ü.M., lässt es sich gut aushalten. Wir sind nun schon genau einen Monat auf Achse. Wie doch die Zeit vergeht. Der Reisealltag ist ja schon ein wenig zur Routine geworden. Das ausgiebige Rasten ist aber noch Neuland für uns. Endlich findet Brigitte auch mal Zeit, ihre Fotos zu bearbeiten und ich diesen Blog ajour zu bringen. Den einmonatigen Reisegeburtstag feiern wir mit einem Grillwurst Abendessen und zur Verdauung einen Appenzeller von unseren lieben Freunden zuhause.
Zwei-, dreimal am Tag kommt in den kommenden Tagen ein Hirte oder Bergbauer auf einem Quad oder Jeep vorbei. Immer wird freundlich gegrüsst und meistens auch ein paar Worte ausgetauscht. Unser Rumänisch war noch nie sehr gut und ist nach über vier Jahren seit unserer Rückkehr aus diesem Land auch nicht besser geworden. Trotzdem verstehen wir uns immer gut, wenn auch teilweise mit Händen und Füssen.
Schon am nächsten Tag wird uns eine Plastiktüte mit Heidelbeeren angeboten. Wir nehmen dankend an und wollten auch dafür bezahlen. Keine Chance. Das ist ein Geschenk, Geld wird nicht akzeptiert. Ob wir denn auch genügend Wasser haben, fragen uns die Leute besorgt. Ja, haben wir. Die fast 300 Liter werden uns ziemlich weit bringen. Das reicht sogar für die allabendliche Dusche. Nur trinken traut sich meine liebe Gattin noch nicht von unserem eigenen Wasser. Obschon es dreifach gefiltert ist. Partikelfilter, Kohlefilter und UV-Filter. Der letztere sowohl beim Betanken als auch nochmals bei der Entnahme. So gut aufbereitetes Wasser findest du sonst wohl nirgends, auch wenn es mit Trinkwasser angeschrieben ist. Meine Argumentation hat meine Liebste bis jetzt noch in den Wind geschlagen. Zur Zeit trinken wir also noch Mineralwasser aus der Flasche. Führen bis zu zwei Dutzend 1.5- oder gar 2-Liter Flaschen mit.
Am folgenden Tag gehen wir mal spazieren, bergaufwärts. Wenn wir uns die Piste etwas genauer anschauen, sind wir froh, unser Plätzchen weiter unten schon gefunden zu haben. Die Strecke wird keinesfalls einfacher. Plötzlich werden wir von einer aus ihrer Holzhütte heraustretenden Frau angesprochen und auch gleich eingeladen. Die Rumänen haben da wirklich keine Berührungsängste. Ganz anders als die Schweizer. Gerne lassen wir uns auf einen Kaffee ein. Danach gibt es auch noch Heidelbeeren aus dem 10Kg. Eimer. Fleisch, Wurst und Käse lassen nicht lange auf sich warten. Irgendwie fühlen wir uns schlecht, ihre ganzen Vorräte wegzuessen und belassen es beim Probiererli. Für die Frau war es aber eine Selbstverständlichkeit, ihre Gäste fürstlich zu bewirten. Ein scheuer Blick in ihre Hütte zeigt uns, dass sie sich reichlich Vorrat angeschafft hat. In weiser Voraussicht haben wir natürlich auch Geschenke im Rucksack mitgenommen und können uns somit wenigstens etwas für ihre ausserordentliche Gastfreundschaft revanchieren.
Schon bald entwickeln wir eine Tagesroutine. Ich koche zuerst den Kaffee in der Aussenküche, derweil bereitet Brigitte drinnen so langsam mal das Frühstück vor. Manchmal gibt es weiche Frühstückseier, manchmal auch einen Früchte Smoothie. Mir scheint, wir haben so ziemlich alle Haushaltsmaschinen mit dabei, die man auch zuhause hat. Gestern gab es sogar selbstgemachtes Mango Eis. Nicht umsonst nennen wir unsere Naturoase "Shangri-La". Es fehlt uns einfach an nichts und wir geniessen es unheimlich, alles in freier Natur machen zu können. Und trotzdem haben wir ja unsere kleinen Arbeiten, die zu erledigen sind. Also nach dem Frühstück geht es «an die Arbeit», wie zum Beispiel endlich mal diesen Blog aufarbeiten.
Auch am Unimog wird fast täglich «rumgebastelt». Sämtliche Betriebsmittel, wie Motoröl, Bremsöl, Hydrauliköl, Vorgelegeöl, sowie auch Kühlmittel und Scheibenwischmittel werden regelmässig kontrolliert. Ja da kommt so einiges zusammen. Selbstverständlich führe ich die wichtigsten gleich in Reserve mit. Auch den Gastank habe ich mir nun endlich einmal genauer angeschaut. Maximal ist der 20Kg Tank zu 80% gefüllt. Wir haben sage und schreibe nach einem Monat, wenn auch nicht intensiven Gebrauch, immer noch zirka 77% verfügbar. Die Versprechungen, dass ein voller Tank mehrere Monate reichen wird, sind tatsächlich nicht aus der Luft gegriffen.
Wir beobachten bei unseren Tätigkeiten auch immer intensiv die Natur. Und die Natur beobachtet uns. Brigitte kann es ja sonst nicht sehr gut mit den fliegenden und hüpfenden Artgenossen, sprich Insekten. Hier macht sie es aber erstaunlich gut. Ausser die Mahlzeiten, die will sie hier partout nicht draussen einnehmen. Somit sitzen wir in unseren bequemen Camper Stühlen und verschieben uns halbstündlich, um auch ja immer schön in irgendwelchem Schatten zu bleiben und zum Essen ziehen wir uns zurück auf unseren Hochsitz im Aufbau. Der Aussicht tut dies kaum einen Abbruch, denn wir haben Panoramafenster auf beiden Seiten und abenteuerlich wirkende Bullaugen auf der Kabinenrückseite.
Die Entsorgung funktioniert bei uns ganz pragmatisch. Was von der Natur kommt geht zurück zur Natur. Alles andere sammeln wir und entsorgen, sobald wir wieder in der Zivilisation sind. Dass dies speziell hier in Rumänien nicht von allen Menschen so praktiziert wird, ist leider sehr offensichtlich. Kaum ein Ort am Strassen- oder Waldrand, wo man nicht irgendwelche Plastikflaschen oder Bierdosen findet. Traurig, aber wahr. Was mich aber am meisten schockiert, ist die Tatsache, dass man zum Beispiel bei einem Carrefour in Arad nicht einmal sein Altglas zurückgeben kann. Die grossen Multinationals bringen also ihre Produkte und Expertise nach Rumänien, um hier auch grosses Geld zu verdienen, ihre Richtlinien für Umweltschutz und Recycling lassen sie aber zuhause in Frankreich. Schande!
Wir sind nun schon fünf Tage im Apuseni und die Zeit verfliegt wie im Nu. Letzte Nacht hat es endlich ein wenig geregnet. Das tut nicht nur der Natur sehr gut, sondern nimmt auch den Staub aus der Luft und vom Fahrzeug. Ich nutze die Gelegenheit, um gleich auch unsere Solarzellen ohne wertvolles Wasser zu verschwenden, wieder sauber und somit leistungsfähiger zu machen. Unsere intensiven Tätigkeiten mit Computern, I-Pads, Handys, Kameras, Drohnen, Küchenmaschinen und Akkustaubsauger zehren nun doch ein wenig an unseren Stromreserven. Wir kriegen sie nun nicht mehr auf 100% Ladung, wie zur Zeit als wir täglich fuhren. Beim Fahren laden sich die Batterien nämlich auch zusätzlich zum Solarstrom mit zirka 30 Amperestunden. Zur Zeit liegt die Batterieladung nun so in den 70iger.
Heute backt Brigitte endlich mal das erste Brot. Es gehört sich ja, dass auf einer Jungfernfahrt alles ausprobiert und getestet wird. Der Backofen soll da keine Ausnahme bleiben. Warum sie sich ein Roggenbrot ausgesucht hat, entzieht sich meinen Kenntnissen und meinem Verständnis, denn der klebrige Teig ist alles andere als einfach, wenn man nicht gerade am fliessenden Wasser ist. Einmal von den Schwierigkeiten bei der Zubereitung abgesehen, war das Brot ein voller Erfolg. Einfach himmlisch. Selbstgebackenes Brot schmeckt sowieso viel besser. Wenn es dann noch unter solchen Umständen zubereitet und mit der hiesigen Aussicht serviert wird, verdient es ein «sublim». 10 von 10 Punkte, ohne Wenn und Aber.
Wir sind gerade dabei unser Erstlingsbrot zu geniessen, als von draussen her ein «Hey Elvețian» ertönt. Unsere Begegnung von vorgestern, der Quadfahrer mit der zerrissenen Schirmmütze, ist gerade mal wieder auf der Durchfahrt vom Tal in seine Berghütte. Mit einem grossen Lachen packt er einen Plastiksack voller frisch gepflückter Heidelbeeren aus seiner Brusttasche. «Für euch» wird er wohl dazu gesagt haben und streckt sie mir entgegen. Ich weiss ja in der Zwischenzeit, dass ich sein Geschenk niemals mit Geld aufwiegen kann. Schnell wende ich mich zu meinem Fahrzeug und reiche dem Mann mit den grossen Zahnlücken ein FRAME Snap Cap. Er erblickt sogleich das Logo, das mit dem auf unserem Fahrzeug identisch ist. Seine Freude ist riesig. Begeistert setzt er sie gleich auf und lässt seine alte zerschlissene schnell verschwinden. Ich glaube, wir haben auch heute wieder einen neuen Freund gemacht.
Im Overlander Forum fragen wir nach etwas einfacheren Strecken im Apuseni Gebirge, die auch mit grösseren Kalibern als den herkömmlichen Jeeps und Geländewagen gefahren werden können. Wir bekommen ein paar Ideen, die wir später gerne mal studieren und vielleicht auch abfahren werden. Wir merken es schon, es zieht uns langsam weiter. Wir wollen in den Südkarpaten bis über 2'000 m.ü.M. kommen, um vielleicht gar eine noch bessere Weitsicht zu erlangen?
Die Nacht war etwas regnerisch und wir machen uns Gedanken, wie wir allenfalls bei Regen und matschiger Piste von diesem steilen Berg wieder runterkommen werden. Bei der steilen Bergabfahrt wirken sich unsere achteinhalb Tonnen nicht gerade zu unserem Vorteil aus. Mein Physiklehrer würde Freude haben, dass ich das kapiert habe und mich noch heute daran erinnere. Wir nutzen das sonnige Morgenwetter und verlassen unser "Shangri-La" nach einer Woche der Erholung und lange bevor wir unsere Wasser-, Strom- und Lebensmittelreserven aufgebraucht hätten.
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