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1.3 Flucht in die Karpaten

Aktualisiert: 25. Aug. 2022


Nach zwei fahrfreien Tagen und Erholung mit anderen Tätigkeiten, («wie Putzen und Waschen» Anm. Brigitte) machen wir uns am Sonntag wieder auf die Strecke. Zuerst geht es noch auf einen Kaffee auf die andere Seite des Plattensees, um endlich unser Fatbike Ersatzteil entgegenzunehmen. Bei dieser Gelegenheit lernen wir ganz supernette Auswanderer aus Deutschland kennen, die sich als unsere Kurieradresse haben hingeben lassen. Gegen Mittag geht es dann weiter Richtung Süden, wo wir in Somogyvamos beim Pusztatoroni auf eine faszinierende Kulisse mit sagenhafter Weitsicht treffen. Nichts kann uns daran aufhalten, hier auch gleich Nachtlager zu beziehen. Per Seilzug werden auch gleich unsere Bikes wieder einmal heruntergelassen, um die Umgebung zu erkunden. So kann Ungarn also auch sein. Nach dem überfüllten Plattensee sind wir nun froh, wieder einmal Idylle zu erleben.

Wir haben uns doch immer vorgenommen, uns von nichts und niemanden drängen zu lassen und die Reise in einem Tempo zu erleben, das uns viel Zeit auch für Nebensächliches gibt. Alles Schnee von gestern: Die heranrollende Hitzewelle in Osteuropa macht uns Beine oder vielmehr Räder. Wir wollen noch vor Ende Woche in den Bergen sein. Also geht es weiter in die weitere Umgebung von Pecs.


Die Qualität der Strassen sind sehr unterschiedlich. Teilweise fahren wir nur mit 30km/h, um Material und Mensch zu schonen. Die grossen Felder wechseln langsam zu bewaldeten Hügellandschaften und die Vielzahl der Campingplätze signalisieren, dass wir uns wieder in vermehrt touristischem Gebiet befinden. Zum ersten Mal entschliessen wir uns, nicht auf dem angestrebten Übernachtungsplatz zu bleiben. Es hat uns einmal mehr zu viel Aktivität. Wir fahren noch ein Stück weiter zum nächsten kleinen See und zwar auf die gegenüberliegende Seite ohne Durchgangsstrasse. Diese Wahl ist top, ruhig und romantisch.


Nach einer geruhsamen Übernachtung und einem frühmorgentlichem Kennenlernen der lokalen Fischer am Orfuisee, steuern wir schon zeitig auf Pecs zu. Diese must-see Stadt wollen wir unbedingt noch am etwas kühleren Vormittag besuchen. Insbesondere die Pascha Qasim Moschee und der Dom des Heiligen Petrus und Paulus sind Ziel unseres Blitzstopps.



Am Nachmittag führt unsere Flucht weiter in den Südosten, um in Dunaszekcso mit einer kleinen Fähre über die Donau zu setzen. Die Barke sieht sehr abenteuerlich aus. Leider informiert uns aber der Fährmann, dass heute wohl keine Fähre mehr ablegt. Morgen wieder. Solange mögen wir aber nicht warten und wir fahren noch zirka 40 Kilometer weiter nach Baya, wo wir die nächste Brücke über die Donau finden. Das war ein anstrengender Tag, aber er brachte uns schon ziemlich Nahe an die Rumänische Grenze und somit ein gutes Stück näher an die wohl kühleren Berge.



Nach einer eher längeren und anstrengenden Etappe von gestern, bleibt uns heute nur noch eine relativ kurze Strecke bis nach Szeged. Nicht viel kannten wir von Ungarn, als wir mit der Planung der Reise begonnen haben. Neben Puszta und Paprika war uns aber das Szegediner Gulasch ein Begriff und daher darf ein Besuch in Szeged nicht fehlen. Auf der Strecke dahin sehen wir leider nicht mehr viel von der schönen blauen Donau. Blau ist sie zwar schon lange nicht mehr, aber immer wieder imposant zu sehen, wie sie sich behäbig durch die Landschaft windet. Es mag daran liegen, dass wir in der Schweiz diesen Anblick nicht gewohnt sind. Die Schweizer Flüsse sind im Vergleich zur hiesigen Donau kleine Dorfbäche.


Wir treffen trotz kurzer Etappe ziemlich erschöpft am Zielort ein. Einmal quer durch die Stadt am Flussufer der Tisza liegt ein Beach Camping, ein Ort für Wildcamper. Wir befürchteten in dieser Saison kaum einen Platz mehr zu finden und waren sehr überrascht, dass wir den ganzen lichten Wald zu unserer freien Verfügung hatten. Die Standortwahl zum Übernachten ist immer minuziöse Teamarbeit. Dabei wird darauf geachtet, dass erstens die Karre gerade steht. Falls nicht ganz gerade, dann soll die Beifahrerseite etwas höher sein, da das Kopfende vom Bett dort liegt. Zur Not haben wir ja auch noch zwei Druckluftkissen, die uns pro Rad bis zu 20cm höher stehen lassen. Zweitens stehen wir natürlich gerne weit weg von Lärm und Licht. Brigitte entdeckt in den Bäumen LED Lampen, die vermutlich die Nacht zum Tage machen werden. Also stellen wir uns auf die Rückseite dieser Leuchten. Drittens soll der Eingang zur Kabine gerne frei begehbar sein und bevorzugt zur «schöneren» Seite raus. Und zu guter Letzt wäre es nicht schlecht, wenn man morgens wieder einfach und vorwärts raus kommt. Kann ja sein, dass man nachts mal die Flucht ergreifen müsste. Also vorwärts schnell raus ist immer gut.



Ungarisch Gulasch in Szeged = Szegediner Gulasch?

Am Abend laufen wir dann zirka 20 Minuten dem Flussufer entlang und durch einen schönen Stadtpark bis ins Zentrum. Ein Restaurant mit Szedediner Gulasch haben wir zwar nicht gefunden, aber es scheint eines der besten Restaurants für Ungarische Spezialitäten zu sein. So bestellen wir also zweimal ungarisches Gulasch in Szeged, für uns ein klassisches Szegediner Gulasch ;-). Auftrag erfüllt. Kurz vor dem Eindunkeln laufen wir noch zur imposanten Kathedrale von Szeged zwei Strassen hinter dem Restaurant. Die Nacht wird dann eher ungemütlich heiß und schwül. Nichts wird uns von unserem Plan abbringen, in zwei Tagen am Fusse der Karpaten zu sein. Insbesondere da nun die Wetterfrösche im Flachland Temperaturen von weit über 40°C prognostizierten.


Wir füllen vor der Weiterfahrt noch unseren 300 Liter Frischwassertank und steuern alsbald Richtung Rumänische Grenze. In Rumänien werden wir um eine Autobahnvignette nicht herumkommen, wie in Ungarn. Also fahren wir nach dem Grenzübertritt gleich auf die A1 Richtung Arad. Das Überqueren der Grenze verläuft übrigens auch diesmal quasi reibungslos. Wir stehen zwar zirka 20 Minuten im Grenzstau, mit der Schweizer ID und der Tatsache, dass wir halt doch nur ein Camper sind, dürfen wir aber anstandslos passieren.


In Arad erwartet uns wieder das volle Programm. SIM Karte kaufen, Benzin volltanken und Lebensmittel aufstocken, um so lange wie möglich in den Bergen autark zu bleiben. Auf dem Parkplatz eines Grossverteilers während der Mittagszeit fühlen wir uns wie in Dubai. Trockene Hitze bei gefühlten 44°C. Zum Glück haben wir in der Fahrerkabine eine dreistufige Klimaanlage. Im Wohnaufbau haben wir aber bewusst darauf verzichtet. War das vielleicht doch ein Fehler?


Die Weiterfahrt vorbei an Timisoara in Richtung Bukarest ist nun eher unspektakulär. Ein grosses Feld folgt dem nächsten, aber zum Glück zeichnen sich am Horizont schon die ersten Berge ab. Die Autobahnfahrt gleicht einer Jagd der Titanen mit den uns wohlbekannten rumänischen Lastwagenfahrer im Nacken, dass du deren Atem fühlen kannst. Irgendwie sind wir froh, dass diese fast 300km lange Etappe in glühender Hitze endlich zum Ende kommt. Wir nisten uns auf einem kleinen Hügel unweit der Hauptverkehrsachse mit fantastischer Fernsicht ein. Morgen wollen wir die Karpaten erreichen und entspannen. Das schaffen wir!



Noch zirka 40km bis Diva und dann links weg in die Berge. Bereits windet sich die Strasse zum ersten kleinen Pass. Die Gegend kommt uns schon mal bekannt vor. Hier sind wir zur Zeit als wir in Bukarest gelebt und gearbeitet haben, auch schon mal durchgekommen. Tut der Faszination aber keinen Abbruch. Wir lieben dieses Land und die Apuseni Gegend ist ein besonders schöner Teil davon. Dank den vielen Tannen erinnert es ja irgendwie auch an die Schweizer Berge und trotzdem wirken diese hier viel sanfter.


Apuseni Gebirge in Transylvanien. Westkarpaten, Rumänien

In Brad stoppen wir nochmals bei einem Lidl. Wir sind erstaunt in diesem kleinen Städtchen nun mehr Bio Gemüse zu finden als in der Grossstadt Arad. Auch ein gutes Stück Rib-Eye kommt noch auf die Speisekarte der nächsten Tage. Vollgepackt biegen wir bei Campeni in die offroad Strecke, die ich mir via WikiLoc heruntergeladen habe. Schon nach dem ersten Kilometer kam die obligate Frage meines Copiloten: «Willst du da wirklich rauf?» «Ja, ich will!» Habe ich das nicht vor 28 Jahren auch schon mal gesagt? Und ich meine es genau so ernst wie damals. Schliesslich haben wir uns einen Unimog zugelegt, um da hinzukommen, wo die andern nicht hingehen. Die Strasse windet sich über Stock und Stein und wird nicht nur immer steiler, sondern auch immer schmaler. Wir wussten es seit dem ersten Tag: Der Lack eines Offroad Fahrzeuges kann und wird nicht unbeschädigt bleiben. Also tun wir es. Beim Gedanken, dass wir hier ja vielleicht auch wieder herunterkommen müssen, wird mir ganz anders. Zum Glück zehre ich jetzt von meinen Erfahrungen im Offroad Training vor zwei Wochen. Auch die Schräglage, kein Problem. Wirklich problematisch sind nur die engen Tracks, bei denen man riskiert, sich die Flanken an den spitzen Steinen aufzuschneiden. Brigitte steigt des Öfteren aus und lotst mich durch die engsten Passagen. Alles geht gut. Nach etwa einer Stunde der absolut schwersten Teilstrecke seit Reisebeginn winkt mich meine liebe Frau auf eine kleine Ausfallspur. «Genug für heute!» ruft sie mir zu. Genau was ich mir erhofft habe, denn auch ich bin nudelfertig und schweissgebadet.



Abends erkunden wir mit der Drohne den weiteren Verlauf der Strecke. Wir glauben ein paar Kilometer weiter unsere Oase der Erholung, unser Shangri-La, finden zu können. Wir stellen uns den geeigneten Platz mit Wiese, Tannen und guter Fernsicht vor. Ohne Starkstrom, 5G und Strassenlärm.



Wir gönnen uns gleich ein grosses Stück Fleisch, das wir in unserer Aussenküche unter freiem Himmel zubereiten. Zur Zeit sind wir knapp über 1'000m.ü.M und die Temperaturen sind zwar noch sehr hoch, aber speziell abends und in der Nacht durchaus erträglicher.


Nächster Blog: 4. Erholung in unserem "Shangri-La"

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