Nach einer zirka stündigen steilen Bergabfahrt sind wir nun also wieder im Aries Tal angekommen. Irgendwie ganz schön erleichtert, dass es auch bergab gut geht. Unser Vertrauen in unser Fahrzeug wächst mit jedem Kilometer Fahrerfahrung. Wir nutzen die Gelegenheit einer ausgewiesenen Wasserbetankung bei einer Tankstelle. Auf die Frage, wie viel Wasser ich haben möchte, erwidere ich, dass zirka 200 Liter bei mir nun schon rein mögen. Der Tankwart Boss macht grosse Augen. Maximal 100 Liter will er uns geben. Es herrsche Wasserknappheit, weil es schon lange nicht mehr ausgiebig geregnet hat. Das ist allerdings wahr. Wir respektieren natürlich die Einschränkung und sind dankbar, dass wir unter den gegeben Umständen überhaupt Wasser bekommen dürfen. Wir füllen unseren Tank auf 60% mit dem Wissen, dass dies sicher wieder für eine Woche reichen wird.
Die Fahrt führt durchs Motzenland hinunter Richtung Turda, sehr kurvenreich und immer wieder mal über alte ausgediente Eisenbahnschwellen, die auf frühere Bergwerkstätigkeiten schliessen lassen. Ungefähr zehn Kilometer vor Turda beziehen wir neues Nachtlager direkt am Aries Fluss. Einmal mehr eine wunderbare Gegend, eigentlich Natur pur, wenn da nicht die Abfallberge früherer Besucher liegen würden. Wir installieren uns auch hier gleich für zwei Nächte, so dachten wir. Denn am zweiten Tag bekommen wir schon wieder einen Alarm der Regierung auf's Handy. Diesmal nicht ein Hitzealarm, sondern ein Unwetteralarm mit Hinweis auf grosse Regenmengen und Sturm. Wenn wir unsere Situation genau anschauen, gleich am Wasser im breiten Flussbecken und maximal ein Meter über dem jetzigen Wasserstand, dann ist unsere Lage suboptimal. Nach reiflicher Abwägung ziehen wir es vor, uns auf etwas höhere Gefilde zurückzuziehen. Gesagt, getan.
Etwa einen Kilometer weiter flussabwärts finden wir eine ebenso schöne Stelle, die zirka drei Meter über dem momentanen Wasserspiegel liegt und uns die gewünschte Sicherheit bietet.
Die Nacht wird aber trotzdem eine der unruhigsten Nächte bis anhin, da wir Nachbarn erhalten haben, die sich nicht ans aktuelle Feuerverbot hielten und die ganze Nacht ein riesiges Lagerfeuer genau in unserer Windrichtung aufrecht hielten. Zum Glück kam ja dann endlich auch der angesagte Regen. Von Sturm und Sintflut aber keine Spur. Das Getröpfel brachte die Pyromanen kaum fünfzig Meter windaufwärts von uns nicht von ihrem Vorhaben ab, die Nacht durchzufeiern.
Am kommenden morgen verlassen wir unseren Schlafplatz etwas entnervt und mit einer Verabschiedung durch unser unüberhörbares Truckerhorn. Wir fahren durch Turda zum stillgelegten Salzbergwerk auf der Nordseite der Stadt.
Der überfüllte Parkplatz liess uns verstehen, dass dieses Turda Salzbergwerk eines der wichtigen Touristen Hotspots ist. An den Autoschildern zu urteilen, aber überwiegend lokale Besucher. Natürlich haben wir nicht darauf geachtet, dass heute Sonntag ist. Da hätten wir wahrscheinlich einen ruhigeren Tag aussuchen können. Nach einer kurzen Wartezeit an der Kasse, verteilen sich aber die Besucher innerhalb des Bergwerks und der Sonntag ist nicht weiter ein Nachteil.
Der Abstieg in den Untergrund ist relativ kurz im Vergleich zu anderen Salzbergwerken, die wir von Rumänien oder auch Österreich kennen. Ein zirka 700 Meter langer Korridor führt zum zweiten älteren Eingang und die Attraktionen befinden sich allesamt in den Seitengängen.
Angeblich soll hier schon seit der Antike Salz abgetragen worden sein. Die Grösse von heute hat sie aber selbstverständlich erst im letzten Jahrhundert und dank moderneren Abtragetechniken erhalten. Wer sich im Detail für die technischen Daten interessiert, kann das gerne hier nachlesen. Für uns ist hauptsächlich der fotografische und wirtschaftliche Aspekt interessant.
Die grösste Halle, die Franz Josef Galerie, ist mit 120 Metern Tiefe sehr beeindruckend. Die Rumänen haben hier eine Attraktion in der Attraktion geschaffen. Hier entstand ein Vergnügungspark, der nicht nur die Kinderherzen höher schlagen lässt. Vom Riesenrad über Tischtennis, Minigolf, Billard bis hin zum Bootfahren im Unterwassersee, hier bleiben keine Wünsche offen. Natürlich alles zum entsprechenden Aufpreis, versteht sich. Da gehen die Relikte aus der Zeit der aktiven Salzmine direkt verloren. Die imposanten Salzwände und -decken bleiben aber allgegenwärtig. Und ganz abgesehen vom Kommerz bleibt ja dennoch ein Trost, ein Besuch im Salzbergwerk ist gesund für Lunge, Haut und das Immunsystem. Also lohnt ein Besuch doch in mehrfacher Hinsicht ;-).
Nach dem Bergwerk ist für uns wieder einmal Food Shopping angesagt. Schliesslich waren wir nun schon über eine Woche autark, das heisst auch unsere Essens- und Trinkreserven sind auf Tiefstand. Auch Turda bietet ein erstaunliches Angebot an deutschen Produkten. Lidl und Kaufland stehen einander gerade gegenüber. Wen wundert es, schliesslich sind wir immer noch inmitten von Siebenbürgen. Jedenfalls bieten uns die beiden alles, was wir für die Weiterreise brauchen.
Der heute angepeilte Übernachtungsplatz ist aber noch eine gute Autobahnstunde weiter südlich. Ausgangs Turda führt uns unser GPS auf ein Strassenwirrwarr sondergleichen. So was muss man sich mal anschauen, auch wenn es nur auf Google Maps ist. Hier hat vermutlich der Staat den Steuerzahler gleich mehrmals über den Tisch gezogen. Auf jeden Fall werden wir, wie auf einer Achterbahn, zuerst in einer grossen Linksschleife, gefolgt von einer Rechtsschleife, dann nochmals links und nochmals rechts kreuz und quer durchs beeindruckendste Autobahnlabyrinth geschickt, das wir je gesehen haben. Und all das, nur weil die A10 sich von der A3 in südwestlicher Richtung abtrennt. Von New York oder Tokyo ist man sich ein solches Strassenchaos vielleicht gewohnt, aber Turda? Salzbergwerk beeindruckend. Autobahnlabyrinth unbezahlbar…!
Die Strecke Richtung Süden ist wunderschön. Sanfte Grashügel in allen Grünvariationen wechseln mit leicht bewaldeten Anhöhen. Neben ganz schön viel Mais sieht man aber auch Getreide, Sonnenblumenfelder und Viehwirtschaft. Auch die Autobahn selbst ist in einem top Zustand und, wie so vieles, weit über den Erwartungen dieses immer wieder unterschätzten Landes. Lustigerweise hat es bei jeder Autobahnüberführung, ohne Ausnahme, ein Warnschild mit 5.50 Metern Höhenbegrenzung. Auch damit hat sich wieder einmal einer eine goldene Nase verdient. Wie viele Lastwagen sind wohl höher als die 5.50 Meter?
Kurz nach Alba Iulia beziehen wir Nachtlager. Auch hier wieder an einem fantastisch idyllischen Ort gleich an der Miresch. Alba Iulia ist unbedingt ein Besuch wert. Wir kennen aber diese Stadt von einem früheren Besuch vor sechs Jahren und lassen sie daher für heute aus. Am Park4Night Standort steht heute wieder einmal ein anderer Overlander. Kommt selten genug vor. Wir geben dem Van mit Dachzelt einen genügend grossen Abstand. Heute nichts mit Kuscheln. Privatsphäre hin oder her, Brigitte wirft mal einen scheuen Blick mit dem Feldstecher zu unserem Wildcamper Nachbar. Sie meint, sieht aus wie ein Zürcher. Irgendwie kann ich sie da nicht auf Anhieb ernst nehmen. Warum soll es denn an diesem verlassenen Ort mitten in Siebenbürgen nun einen Zürcher Overlander geben? Nachdem wir uns eingerichtet haben will ich gerade mal hinüberlaufen, um nachzusehen, was es denn nun mit den vermeintlichen Zürchern auf sich hat. Und da treten sie mir auch schon entgegen. Wir haben einen netten Abend mit Karin und Werner aus dem nördlichsten Kaff im Kanton Zürich. Sie sind gerade auf der Rückreise nach zwei Monaten im Balkan und Griechenland. Der 1. August, Schweizer Nationalfeiertag, ist zwar erst morgen, aber man soll die Feste feiern, wenn man dazu Zeit hat. Die Appenzeller Shots ersetzen den Weisswein, der fantastische Sonnenuntergang ist unser Feuerwerk.
Am nächsten Tag ziehen unsere neuen Zürcher Freunde von dannen. Uns gefällt es aber an diesem Ort so gut, dass wir einen Extratag einlegen. Gezwungenermassen, denn der nächste Programmpunkt, der Besuch bei Graf Dracula auf dem Castelul Corvinilor, ist montags immer geschlossen. Wir nutzen die Gelegenheit und nehmen wieder einmal die Fatbikes vom Träger. Fatbike Maintenance Day ist angesagt und natürlich eine kleine Tour in die nähere Umgebung.
Als wir am Standort des Schlosses Corvinilor in Hunedoara, zu deutsch Eisenmarkt, einfahren, staunen wir erst mal nicht schlecht. Nicht das Schloss sticht uns zuerst in die Augen, sondern die zahlreichen Paläste mit silbernen und goldenen Spitzdächern und noch pompöseren Eingangstoren. Die Roma Barone scheinen hier, auf der Anhöhe der vormaligen Eisenverarbeitungsstadt, zuhause zu sein. Wir parken unser Dickschiff der Grösse halber mal wieder ausserhalb des offiziellen Schloss Parkplatzes und verbringen nun die nächsten zwei Stunden bei Graf Dracula. Nein, Corvinilor ist ja eigentlich nicht Vlad Tepes` (so der «bürgerliche» Name des Grafen) Schloss. Er soll aber hier öfters, freiwillig und unfreiwillig, gewesen sein. Corvinilor ist, wie erwartet, insbesondere von aussen faszinierend. Es entspricht so in etwa einem Märchenschloss aus den Kinderbücher. Die ersten Räumlichkeiten nach dem Gang über die lange Zugangsbrücke und durch das Schlosstor sind aber alles andere als märchenhaft. Sie sind den Folterkammern gewidmet. Uns erstaunt, wie viele Eltern mit ihren Kindern sich die gruseligen Nachstellungen im Detail anschauen. Ob dies nun wirklich Geschichtsunterricht oder doch etwa Erziehungsmassnahmen sind, sei dahingestellt. Das Durchschlendern der übrigen Räume kann uns eine gute Vorstellung geben, wie sich das Leben im Mittelalter abgespielt haben könnte. Die vielen Nachstellungen und Informationstafeln ähneln aber eher einem Museum und können uns weniger begeistern. Vielleicht liegt es ja aber auch an der zunehmenden Hitze und den Massen an Touristen, die sich durch die engen Schlosskorridore drängen
Graf Dracula haben wir also nicht persönlich getroffen und trotzdem fühlen wir uns am Abend ziemlich ausgesaugt. Die Tagesetappe führt uns aber noch ein paar Kilometer weiter. Zuerst geht es zum Betanken von Frischwasser zu Fellow Camper Peter, der uns grosszügigerweise einen vollen Frischwassertank zum Nulltarif anbietet. Danach fahren wir dann einmal mehr zu einem genialen Platz vor Silvasu de Jos mit dem Horizont in zirka 70 Kilometern Entfernung und dem Waldrand im Rücken. Ein kleiner Eichbaum spendet uns zudem tagsüber Schatten, um den wir nun doch wirklich froh sind. Der Ort gefällt uns so gut, dass wir auch hier eine kleine Verlängerung einlegen. Wir trinken frühmorgens Kaffee mit dem Hirten einer riesigen Schaf- und Ziegenherde, die gemäss ihm 1'000 Stück Vieh umfasst.
Seine vier Hirtenhunde freunden sich auch sehr schnell mit uns an, was auch an Brigittes Hundeleckerli liegen kann. Auf jeden Fall steuern sie die Herde immer wieder gerne zu uns hinauf und ruhen sich dann im Schatten des Unimogs aus. Die Herde kann warten, die Hunde geben den Takt an.
Als Nachbarn haben wir da auch eine kleine grüne Echse, die einen Brombeerstrauch zu ihrem Zuhause gemacht hat. Wir entdecken auch Rehe und die vielen bunten Schmetterlinge um uns herum. Es fällt uns auf, dass wir noch nie zuvor so viel die Natur beobachtet haben wie jetzt. Das langsame Reisen tut uns wirklich gut. Das Wort Entschleunigen bekommt hier Sinn.
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