So karg und monoton einzelne Orte hier hinter dem Hohen Atlas sein können, so abwechslungsreich ist diese Gegend als Ganzes. Knappe zehn Kilometer nach unserem Neujahrs-Standplatz in der Steinwüste erreichen wir Tinghir, eine langgezogene Kleinstadt am Dades Fluss. Auch hier fliesst das Wasser nur spärlich und trotzdem verleiht das wenige Wasser der Region einen wunderbaren grünen Vegetationsmantel. Auf Grund des Wassermangels verzichten wir auf eine Besichtigung der Schlucht. Ohne das fliessende Nass hat sie für uns ihren Anreiz eingebüsst. Stattdessen machen wir uns auf Richtung Feszna, wo es Land Art vom Feinsten zu bewundern gibt. Einer Overlander Bekanntschaft von Fes haben wir es zu verdanken, von diesem Geheimtipp überhaupt gehört zu haben. Unter dem Namen Senses Atlas hat hier Hansjörg Voth, ein Deutscher Landsmann in rund fünfzehnjähriger Schwerstarbeit zusammen mit den Einheimischen drei monumentale Kunstwerke geschaffen. Wer gerne mehr Details darüber erfahren möchte, findet diese hier.
Heute scheinen wir die einzige Kundschaft bei Senses Atlas zu sein. Wir beginnen bei der "Goldenen Spirale" und lassen uns von Mohammed ein paar Eckdaten erklären. Er ist sehr stolz darüber, bei der Erstellung ab den frühen 80ern bis 2003 persönlich dabei gewesen zu sein. Ein Lebenswerk also, das auch heute noch Früchte abwirft. Der Besuch der drei Plätze, die ein paar Kilometer voneinander entfernt liegen, kosten nämlich 150 Dirham, rund 15 Euro pro Person. Das sind natürlich eigentlich Europäische Preise und somit eher auf die ausländischen Touristen ausgerichtet. Sicherlich gerechtfertigt für das, was hier geboten wird, aber entsprechend selten – schätzen wir - werden die damaligen Erbauer und heutigen Wächter der Monumente zahlende Kunden hier draussen sehen. Das zweite Monument ist die Nachbildung des Orions. Da hat der Germane es tatsächlich fertiggebracht, die Intensität der Sterne im Sternbild Orion in Grösse der Steintürme umzusetzen. Selbstverständlich stimmen auch die Abstände zwischen den Türmen mit denen der Sterne proportional überein. Die so entstandene Orion-Stadt lässt sich hier auf Erden nun besteigen und regt selbstverständlich zum Nachdenken an. Klar, dass wir nächste Nacht noch intensiver in den schon eh klaren Sternenhimmel schauen. Der Abschluss der Trilogie bildet die "Himmelsleiter". Ein perfekter Auf- und Einstieg in den Himmel, um uns Menschen den Sternen und dem Kosmos wieder etwas näher zu bringen. Wie gut dem Erbauer das mit seinen Kunstwerken gelingt, ist vermutlich je nach Betrachter unterschiedlich. Wir finden es einmalig und sehr inspirierend.
Auch der nächste Tag bringt uns nochmals an einen aussergewöhnlichen Ort. Nach einer ruhigen Nacht in der wohl grössten Ebene, in der wir je geschlafen haben, fahren wir heute von Jorf über Rissani nach Gara Medouar. Wir treffen kurz vor dem Ziel auf unsere allererste wirkliche Oase. Ein paar Palmen im Sand und mitten drin sogar ein Ziehbrunnen. Das ist Idylle pur und wirkt auf uns schon fast Hollywood reif. In der Tat sind wir hier ganz in der Nähe eines Drehortes von etlichen grossen Kinofilmen. Aber nicht diese kleine Oase, sondern der erloschene Vulkan Gara Medouar diente hier als Kulisse von so wohlbekannten Kinospektakeln, wie «Die Mumie» oder der letzte James Bond «Spectre». Ehrlich gesagt, erwarteten wir hier etwas mehr Rummel, aber ausser zwei berbischen Souvenirverkäufern gibt es hier oben «nur» eine fantastische Aussicht auf die Umgebung. Die ist aber so atemberaubend, dass wir da am liebsten übernachten würden. Hier oben ist es aber leider alles andere als flach.
Wir lassen es uns aber nicht nehmen, mit dem Unimog ganz auf die Spitze hinauf zu fahren, wo allenfalls noch Motorradfahrer hinkommen, sicher aber keine Womos mehr. Beim Umdrehen kommt mein Dicker im Rückwärtsgang das erste mal ins Rutschen, was selbst meinen fetten Stollenreifen etwas zusetzt. Kleinste Gummiabriebe sind später am rückwärtigen Reifenprofil erkennbar. Weiter nichts Schlimmes, muss ich aber im Auge behalten, falls sich die kleinen Risse auf die Lauffläche ausdehnen.
oben: Aussicht vom erloschenen Vulkan und James Bond Drehort Gara Medouar
unten: Unsere allererste kleine Oase inklusive Ziehbrunnen
Weiter geht es in Richtung Erg Chebbi. Wir sehnen uns nach den Dünen und wollen noch heute Abend dort ankommen. Tagesziel ist eine Auberge mit Waschmaschine. Ja so verschieden können die Vorgaben sein. Früher hat man sich die Hotels nach ihrer Lage, den Restaurants oder allenfalls der Zimmerausstattung ausgesucht. Heute wollen wir einfach nur ein Camp / eine Auberge mit Waschmaschine. Die Luxussuite führen wir ja Gott sei dank selber mit.
In einem kleinen Dorf machen wir nochmals kurz halt, denn wir erblicken ein kleines Stoff Geschäft. Ich bin seit Fes auf der Suche eines typischen Tuareg Turbans im Königsblau und hier werde ich endlich fündig. Die netten Ladenbesitzer zeigen uns auch gleich, wie ich den rund vier Meter langen Stoff richtig um meinen Schädel verzurre, damit er dem stärksten Wüstensturm widersteht. Genau wie die technischen Anweisungen zum Unimog, nehmen wir auch dieses Turban-Binde-Tutorial mit dem Handy auf Video auf. So helfen wir im Zweifelsfall unserem Gedächtnis ein wenig nach, das viele neu Gelernte besser zu verarbeiten.
Zurück bei unserem Wagen werden wir von einem Einheimischen angesprochen. Ahmed spricht etwas deutsch und will wissen, ob wir wohl auf dem Weg nach Merzouga sind und dort schon eine Bleibe hätten. Wer hier durchfährt kann eigentlich nur auf dem Weg ins Erg Chebbi sein und Merzouga ist sozusagen das Mekka der Erg Besucher. Ahmed scheint selbst eine Auberge zu haben, so ziemlich in der Nähe, wo wir eh hin wollen. Wir lassen uns von diesem sympathischen Berber und den Schilderungen seiner Auberge verführen und folgen ihm die verbleibenden 30 Kilometer bis an seine Haustüre. Abgesehen von zwei kleineren Vans sind wir die einzigen Camper in der Auberge Kanz Erremal und dürfen uns dank unserer Sand Tauglichkeit gleich in die erste Reihe stellen, quasi schon am Fusse der ersten Düne, schön mitten drin zwischen Ahmeds Auberge und derjenigen seines Nachbarn.
Beim Stellplatzbezug im weichen Sand wird mir schon ein wenig mulmig, da ich ja noch immer mit vollem Strassendruck auf meinen Reifen unterwegs bin. Unser FRAME meistert aber auch diesen ersten wirklichen Weichsand Kontakt bravourös.
Wo die Dünen sind, können die Dromedare nicht weit weg sein...
Der nächste Tag steht unter dem Vorzeichen der Wüstenvorbereitung. Wir machen wieder einmal Wäsche in der wohl ausgedientesten Hotel-Waschmaschine Marokkos. Wir lassen uns aber am Abend auch gerne wieder einmal im Restaurant bei einer klassischen Hühner Tagine verwöhnen. Ahmed nimmt sich zudem die Zeit, bei Tee und Gebäck mit uns die später geplante Südroute zum Erg Chigaga und dem Iriki Salzsee zu besprechen. Er warnt uns von den schwierigen Passagen nach der Oase Ramlia. Die Flussbetten seien voll mit dem sogenannten Fech-Fech, ein Feinstaubsand, durch den schwere Trucks wie unserer wohl kaum durchkommen. Er empfiehlt uns eine Strecke viel weiter im Norden, wo mein GPS aber nicht einmal eine Piste aufzeigt. Jetzt sind wir echt im Dilemma. Ein guter Rat, den ich mir eigentlich beherzigen will, ist derjenige, dass man auf die Lokalbevölkerung hören soll, wenn es um die Machbarkeit einer Strecke oder das lokale Wetter geht. Auf der anderen Seite kann ich doch unmöglich eine Strecke suchen gehen, die auf keine Art und Weise auf meinen Karten abgebildet ist. Wir machen uns im Internet schlau, sowie bei Overlandern, die die Südstrecke via Ramlia erst kürzlich gefahren sind. Die Tatsache, dass unsere Kontakte es geschafft haben, geben uns Hoffnung. In der Tat, diejenigen, die es nicht geschafft haben, können uns ja schlecht berichten und sitzen vielleicht gerade irgendwo im Fech-Fech fest und schreien um Hilfe. Für uns ist schnell klar, nach ein paar Tagen der Tiefenentspannung im Erg Chebbi werden auch wir die Südroute nach Chigaga «wagen» und uns den Herausforderungen Fech-Fech, Wellblech und von Wanderdünen zugedeckten Pisten stellen.
Heute ist nun also vorerst der Tag, an dem wir uns in den Erg Chebbi Sandkasten verabschieden wollen. Wir tanken nochmals Wasser bei Ahmed, Diesel bei der Tankstelle und vor allem Essen und Getränke im nahegelegenen Merzouga. Dann geht es auf sandiger Piste auf der Südseite ums Erg herum bis ganz nahe an die algerische Grenze. Auf dieser Ostseite gibt es die wenigsten Wüstencamps und, gemäss unseren Recherchen, die einsamsten Plätze in den Dünen. Ein Problem besteht aber nach wie vor und zwar ein recht grosses! Wir sind immer noch alleine unterwegs und seit unseren Wüstenerfahrungen mit unserem Landcruiser vor fast 20 Jahren in den Wüsten Dubais wissen wir: Man geht nicht alleine in die Dünen! Zudem sind wir ja auf dem Unimog noch so gut wie unerfahren. Unser Vertrauen in seine Fähigkeiten wächst zwar mit jeder noch so kleinen Sandpassage, aber sind wir wirklich gewappnet für die grossen Dünen des Erg Chebbi? Es gilt nun unsere grosse Sehnsucht mitten in den Dünen zu stehen, mit den Risiken, dies als Greenhorn und im Alleingang zu tun, abzuwägen. Einmal um die Südspitze des Ergs herum, fahren wir nun schon seit einigen Kilometern wieder nordwärts und tatsächlich werden die Camps immer weniger. Die, die es noch hat, sind zudem meist leer oder gar geschlossen. Wer glaubt, dass die Corona Auswirkungen schon vorbei sind, darf sich hier von einer neuen Realität schockieren lassen. Und dann kommt sie, die Stelle, an der wir finden, dass es hier super einsam ist und die Umgebung dem entspricht, was wir uns vorstellen: Bilderbuch Dünen und Wüste zum Greifen. Natürlich nicht gleich hier an der Umfahrungspiste, aber zirka einen knappen Kilometer weiter drinnen. Ein Kilometer! Das sind auch zirka tausend Möglichkeiten sich festzufahren. In gelernter Manier laufe ich die leichte Steigung hinauf zu den Dünen zuerst einmal zu Fuss ab. Es gibt alte Tracks und auch immer wieder vom Wind gehärtete Stellen und etwas Wüstengraswuchs, was ein Gelingen in Aussicht stellt. Die Gegend ist leider alles andere als unberührt, was wir vom beliebtesten Sandkasten Marokkos aber auch nicht erwarten durften. Die Schlussfolgerung: Wir wagen es, was kann denn schon passieren, sind ja kaum einen Kilometer von der Piste weg, wo ab und zu schon jemand durchfahren wird. So glauben wir zumindest.
Die Luft wird auf etwas unter zwei Bar abgelassen – vorne etwas mehr, hinten etwas weniger - und dann geht es mit viel Schub hinauf zum markierten Ziel. Am Ende eine Schleife ziehen, damit die Schnauze auch gleich wieder in Abfahrtsrichtung steht. Alles läuft nach Plan und ein paar Minuten später stehen wir nun am eigentlichen Ziel dieses Marokko Abenteuers, im Erg Chebbi neben 200 Meter hohen Dünen mit gigantischem Ausblick in alle Himmelsrichtungen.
Unser Stellplatz für die nächsten Tage, solange die Vorräte reichen...
Das Gefühl, wenn man an einem solchen Ort ankommt ist unbeschreiblich, insbesondere wenn man weiss, dass die Vorräte mindestens für zehn Tage reichen werden. Selbstverständlich stimmt auch das Wetter. Nachts fallen zwar die Temperaturen immer noch nahe an den Gefrierpunkt, tagsüber haben wir aber sehr angenehme 20°C plus. An der Sonne auch schon mal 28°C. Wir geniessen die Ruhe und die Stille und vergnügen uns mit Fussmärschen zu den Dünen, Lesen, Texten etc.. Auch die Fatbikes kommen wieder einmal zum Einsatz und sie bestehen auch den Test im weichen Sand. Hierfür haben wir sie ja eigentlich gekauft. Wir wollten Bikes, die auch in der Wüste und am Strand uneingeschränkt einsatzfähig sind. Fatbiken in den Dünen fühlt sich übrigens etwa an wie Tiefschneefahren. Man muss sich die richtige Taktik zulegen und lernt dabei auch super gut die Sandunterlage zu «lesen». Windrichtung und Neigung des Geländes sind dabei ebenso ausschlaggebend wie die Vegetation. Alte Tracks sind da keineswegs ein Vorteil, da sie oft mit weichem Sand gefüllt sind und somit zur Falle werden können. Diese Erkenntnisse vom Fatbiken sind selbstverständlich auch fürs Unimoggen nützlich, mal abgesehen vom sehr unterschiedlichen Gewicht und Schwerpunkt ;-)
oben: Spass beim Fatbike Surfing in den Dünen. Ein Youtube Video gibt es dazu hier.
unten: Die Fotografin an der Arbeit (l. & m.) und in Tiefenentspannung auf der Dachterrasse (r.)
Am sechsten Tag in der Wüste bekommen wir dann Besuch eines weiteren Zürcher Overlander Paares, mit dem wir schon seit geraumer Zeit über Instagram verbunden sind. Wir haben uns schon seit Spanien gegenseitig über unsere Routen und Standorte informiert und schliesslich dieses Treffen in der Wüste koordiniert. Als wenn die Anfahrt zu unserem Standplatz noch nicht schwierig genug wäre, schaffen das unsere neuen Freunde sogar in der Dunkelheit. Die letzten hundert Meter zwar auch zuerst zu Fuss, quer über die kleinen Dünen und schliesslich auch mit ihrem MAN im Scheinwerferlicht unserer Trucks. Operation Zürcher Treffen in der Marokkanischen Wüste geglückt!
Schon bald entscheiden wir uns, die Weiterreise auf der Südroute bis zum Erg Chigaga gemeinsam zu fahren. Das gibt uns wohl beiden eine gewisse Sicherheit für den Notfall, setzt aber auch etwas Koordination im Tagesablauf voraus. Ab heute fahren wir also nicht mehr alleine durch die Landschaften Marokkos, unsere Abenteuer setzen wir nun fort unter dem Motto: Geteilte Freude ist doppelte Freude!
Endlich Sandwüste: Portraits zweier Wüstenbewohner ;-)
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