Es sind 27 Stunden vergangen, seit wir in Cadiz in See gestochen sind und endlich ist Land in Sicht. Lanzarote Ahoi! Unser Piratenschiff – nun so schlimm war es ja nun doch nicht – legt sich frech neben die «Mein Schiff 3». Und wer zuletzt auf den Kahn fährt, der darf auch zuerst wieder an Land gehen. Soweit die Logik, denn wir stehen ja quasi in Pole Position gleich hinter dem Waadtländer Van. Die Schweizer sind also in diesem Rennen «Ankunft auf Lanzarote» gut aufgestellt. Die Rampe ist schon unten, aber wo ist denn unser lieber Freund der Westschweizer Berge? Peinlich! Die Fahrzeuge hinter uns warten ungeduldig mit laufenden Motoren, aber unser junger Mann sucht vermutlich gerade seinen Wagen. Vor wenigen Minuten hat er uns noch nervös gefragt, wann wir endlich runter steigen dürfen zu unseren Fahrzeugen und jetzt so was. Routinierten Fähren Fahrer passiert so etwas nicht mehr. Da wird vorsorglich beim Boarding schon mal mit dem Handy ein Bild gemacht, um das richtige Fährdeck wieder zu finden oder man prägt sich das Gottfried Stutz einfach ein!
Schliesslich findet auch unser Landsmann zu seinem Fahrzeug und wir rollen endlich auf unsere verheissungsvolle Insel. Es ist Sonntag und in wenigen Tagen Silvester. Unsere Vorräte sind randvoll und somit brauchen wir uns um nichts Weiteres zu sorgen, als einen schönen ersten Übernachtungsplatz zu finden, an dem wir vielleicht auch bis zum Jahreswechsel bleiben können. Hierzu haben wir uns einen Platz neben einer Ruine ausgesucht mit Blick aufs Meer und ein paar grösseren Ortschaften rundherum, in der Hoffnung, dass wir vielleicht in der Silvesternacht etwas Feuerwerk erhaschen können. Solche Stellen suchen wir uns mit Vorliebe auf der Höhenprofil Karte unserer Locus Map. Wenn dann Google Street View noch ein Bild dazu liefert ist die Vorbereitung schon fast perfekt. Oft ist aber Street View auf solch abgelegenen Pfaden nicht verfügbar, somit ist die Überraschung, wie es in Wirklichkeit aussieht, immer noch sehr gross.
FRAME schnaubt am Rande der Inselhauptstadt Arrecife den Berg hinauf Richtung Norden. Schon bald ändert sich unsere Umgebung von weiss gemauerter Zivilisation in wilde Steinlandschaft. Nicht wenige unserer Bekannten haben uns vor Abreise noch gefragt, warum wir denn zur Überwinterung eine so karge, leblose Vulkaninsel ausgesucht haben. Der Anblick, den wir hier wenige Minuten nach Ankunft geboten bekommen, ist die Antwort darauf: Wir fahren vorbei an ausgeloschenen Vulkanen, durch eine kontrastreiche Landschaft aus Verschmelzung von schwarzen Lavafeldern und sandfarbenen Lehmböden. Die steilen Vulkankegel sind vernarbt mit imposanten Bruchkanten und gespickt mit grün bewachsenen runden Einbuchtungen der ehemaligen Nebenschlote. Ja es gibt viel Gestein, aber karg sieht für uns anders aus. Zumindest zu dieser Jahreszeit Ende Dezember zeigt sich Mutter Natur allgegenwärtig und in jeder noch so kleinen windgeschützten Ritze wächst was Grünes. Die Harmonie der Erdfarben und die Weichheit der Hügel ist einfach überwältigend schön. Wir freuen uns hier den Winter verbringen und Lanzarote in seiner Fülle entdecken zu dürfen.
Die Distanzen auf dieser Insel sind sehr überschaubar, sodass wir nach nur einer Viertelstunde die Hauptstrasse bereits wieder verlassen, einen letzten Krater umfahren und unsere Blicke zurück zum Meer Richtung Afrika schweifen lassen. Die besagte Ruine liegt etwas über Charco del Palo, ein kleiner Touristenort am Ostufer auf den wir noch zu sprechen kommen müssen. Vorerst sind wir mal begeistert von der vor uns liegenden kleinen Plattform mit fantastischem Weitblick bis fast hinüber nach Afrika. Ein schöner Sonnenaufgang ist hier wohl garantiert, da nehmen wir auch einen um zirka eine Stunde verfrühten Sonnenuntergang in den schützend hinter uns liegenden Bergen in Kauf.
oben/unten: Kein schlechter Übernachtungsplatz zum Auftakt in Lanzarote
Es ist schön und still hier neben den verfallenen Mauern dieser ehemaligen Weinplantage. Wirkt ein bisschen wie ein Lost Place mit Graffiti, Wildwuchs und noch ein paar wenigen Überresten, die selbst nach den übelsten Plünderungen wohl keiner mehr haben wollte. Diese Ruine wird mit Sicherheit nicht mehr allzu viele Neugierige anziehen und somit unserer Einsamkeit keinen Abbruch tun. Nach zweimal geruhsam Schlafen, endlich wieder ohne Wellengang und dem Rattern einer Klimaanlage, bricht bereits der letzte Tag des Jahres an. Wir haben uns inzwischen etwas vorbereitet, wie wir Lanzarote entdecken wollen. Wer glaubt es ist schwierig eine angeblich kleine Insel in vier Tagen zu bereisen, der versuche es mal mit vier Monaten. Das ist nämlich genau so knifflig. Wo fangen wir an und warum? Generell wollen wir die wärmeren Tage, die da hoffentlich noch kommen werden eher am Meer verbringen und planen daher die ersten Wochen, wo auch der Wind noch nicht so stark bläst, wie im Frühjahr, eher in den Bergen zu verbringen. Ob Nord oder Süd, ob West- oder Ostküste machen wir auch ein wenig vom Wind abhängig. Ja der liebe Wind ist neben den Vulkanen ein ganz gewichtiger Kerl auf Lanzarote und auch wenn wir ihn nicht zu fest fürchten, wollen wir uns ihm nicht unnötig in den Weg stellen. Wir glauben, dass unsere Windfestigkeit in Nordirland schon gebührend auf die Probe gestellt wurde. Aber wer weiss, was uns hier am Rande des Atlantiks noch alles erwartet.
Neben einer täglichen Touristen Tour auf staubigen Quads, ein paar Lost Place Besucher und der eine oder andere Wanderer verirrt sich hier kaum jemand auf unser Silvesterplattform. Schliesslich hält aber ein Jeep, der hier schon einmal durchgefahren ist und zum etwa zweihundert Meter unter uns liegenden Haus zu gehören scheint. Alejandro, ein sympathisch bärtiger Mitvierziger stellt sich als unser weit und breit einziger Nachbar vor. Er spricht in gutem Englisch zu uns und erspart uns unser spärliches Spanisch aus den tiefen unseres Sprachfundus zu klauben. Er glaubt, dass Menschen mit einem Fahrzeug, wie unser FRAME, was zu erzählen hätten und lädt uns spontan zu sich ein, um gemeinsam mit seiner Frau und Freunden den Silvesterabend einzuläuten. Wir sind geradezu berührt von seiner Gastfreundlichkeit und nehmen seine Einladung natürlich dankend an. Der Abend auf seiner Terrasse bei lokalem Wein und Köstlichkeiten wird zum perfekten Ausklang eines wunderschönen Jahres 2024. Wir erfahren viel von Alejandro über die Lanzeroteños, oder Conejeros (Kaninchen), wie sie auch liebevollerweise genannt werden. Er erzählt uns mit Begeisterung, wie er heute auf dieser Vulkaninsel lebt, aber auch wie seine Vorfahren vor nicht allzu langer Zeit ihren Lebensunterhalt bestritten haben. Wir lernen von der hiesigen Landwirtschaft, der Wasserknappheit, den Strom von afrikanischen Immigranten und nicht zu vergessen von César Manrique, ein einheimischer Künstler, Architekt und Tausendsassa, dem die Insel so vieles zu verdanken hat. Wir sagen «Danke Alejandro für diesen warmen Empfang auf Lanzarote und interessanten Silvesterabend, wir bleiben in Kontakt!»
Bis zum mitternächtlichen Feuerwerk schaffen wir es aber wie in den Vorjahren auch diesmal nicht mehr. Auf Reisen sind wir gewohnt mit den Vögel Schlafen zu gehen und mit ihnen auch wieder aufzustehen. Da hilft auch ein Silvester nicht über unsere Müdigkeit hinweg. Der süffige heimische Volcano Wein mag sein Teil dazu beigetragen haben, auf jeden Fall schnarchen wir schon kurz vor Mitternacht und tief bis ins Neue Jahr.
oben: Die ersten Sonnenstrahlen des 2025 versprechen ein fantastisches Jahr
unten: Wir posieren zum Jahreswechsel mit FRAME und grüssen damit unsere Liebsten
Nach dem mehr als gelungenen Jahreswechsel sind wir nun voller Taten- und Entdeckungsdrang, um endlich diese wunderschöne Insel einzusaugen. Heute spazieren wir nun also hinunter zum Meer, von Charco del Palo bis nach Los Cocoteros, sowie zur anliegenden Saline. Wir haben es ja schon gehört, können es aber noch immer nicht glauben. Charco del Palo ist ein FKK Dorf und da laufen tatsächlich alle Menschen rum, wie sie Gott geschaffen hat. Nein, nicht nur einige am Strand, ALLE und ÜBERALL. Die weissen Fleischklösse heben sich ja fantastisch vom schwarzen Lavagestein ab, sodass sie förmlich von allen Felsen leuchten. Mir tun die armen Afrikaner leid, die seit Jahren dasselbe zerfetzte T-Shirt und mit grossem stolz die abgelatschten Sandalen des Vaters tragen. Sie sparen sich dumm und dämlich, um sich nach Jahren endlich die Flucht ins Paradies leisten zu können. Es wird ihnen eine hoch entwickelte Zivilisation, technologischer Fortschritt und Wohlstand in der EU versprochen, sodass die Migranten ihr Leben riskieren, um mit dem Schlauchboot von Senegal ins hochgelobte Land, auf die Kanaren zu kommen. Und dann, wenn nach tagelangem Schaukeln in den Wogen des Atlantiks endlich Land in Sicht, Rettung in greifbarer Nähe ist, sehen sie lauter nackte weisse Menschen auf schwarzer Lava. Wer es bis hierhin überlebt hat, dem droht wohl der Tod durch Frust und Enttäuschung vielleicht doch nur vom Regen in die Traufe gelangt zu sein. Zum Glück täuscht hier der erste Eindruck auf Lanzarote. Die meisten gelangen eh nach El Hierro, die nächste Insel vom Süden kommend. Über vierzig Tausend im letzten Jahr. Das sind weit mehr als das Festland Spanien von Marokko abbekommt. Eine echte Tragödie, die aber die Nackigen hier nicht davon abhält ihrer Freikörperkultur zu frönen.
oben: Wir entdecken die Küste rund um Charco del Palo (Allfällige weisse Punkte sind nur Möwen ;-)
Nach Los Cocoteros laufen wir direkt auf eine Saline auf der Suche nach Juan. Er soll hier der Platzhirsch sein und sich alleine um die traditionelle Bewirtschaftung kümmern. Die Salzbecken schimmern in der Nachmittagssonne, derweil ein Generator mit viel Getöse das Meerwasser in die quadratischen Becken pumpt. «Hola, ist hier jemand?» Wir scheinen Juan aus seiner Siesta aufgeweckt zu haben, wie dumm von uns! Er wird uns das aber entschuldigen, denn wir kaufen ihm ein Kilo frisch gewonnenes unbehandeltes Meersalz ab und bedanken uns grosszügig mit dem Wechselgeld.
oben: Kurzer Einkauf- & Wäschewasch-Abstecher in die Region von Puerto del Carmen/Puerto Calero
unten: Punta de la Pared mit bei Flut spritzenden Lavalöchern. Das freut Flora und Fauna...
Ebenfalls in Gehdistanz von unserem Ruinen Standort sind die Kaktusgärten von Guatiza. Kakteen sieht man hier auf dieser doch sehr trockenen Insel natürlich immer wieder mal. Es gefällt ihnen in freier Natur aber nur an Standorten, die nicht zu sehr dem alltäglichen Atlantikwind ausgesetzt sind. So findet man sie insbesondere in den zahlreichen Seitenschloten der Vulkane oder gar den meterhohen Terrassen am Kraterrand. Die Kakteen von Guatiza sind genau so in eine Vertiefung gebaut und bieten das volle Spektrum dieser Wüstenpflanze. Eine kleine, ausgediente Windmühle überragt die Gärten und gibt ihnen einen zusätzlichen Blickfang. Wie die meisten Touristen Attraktionen auf Lanzarote sind sie gut besucht und man tut gut daran, sich für ihren Besuch Randstunden auszusuchen. Als Nicht-Kenner dieser Spezies hat man das Gefühl, dass hier wohl alle Sorten vertreten sein müssen. Eine unglaubliche Vielzahl an kleinen und grossen, struppigen und stachligen aber allesamt dickhäutigen Exemplaren, die man sich vorstellen kann. Wenn man mit schönen Pflanzen was anfangen kann, ist ein Besuch hier sein Eintrittsticket auf jeden Fall wert.
oben: Überblick über die Kaktus Gärten von Guatiza
unten: Detailansicht einiger Prachtexemplare. Selbst der Leuchter im Cafe ist stachelig
Ein paar Kilometer weiter nördlich steigen wir ein paar Tage später dann schliesslich noch vollends in die Tiefe. Wir befinden uns inmitten des erkalteten Lavastroms von Mount Corona, der dominante Vulkan im Nordteil der Insel. Genau wie die Kaktusgärten ist auch die Cueva de los Verdes, ein Höhlenlabyrinth der Extraklasse, von keinem geringeren als Künstler César Manrique mitgestaltet worden. Es gibt auf Lanzarote etliche Touristenattraktionen, markante Gebäude, ja sogar jede Menge Kreisel, die das Multitalent designed, verschönert oder kunstvoll dekoriert hat. Die Cueva de los Verdes gibt uns die Gelegenheit, wie die Lava vor tausenden von Jahren in den Lavatunnels Richtung Meer zu wandern und uns einer imposanten Höhlenwelt zu erfreuen. Die Tour ist geführt und zweisprachig. Wenn du Glück hast, bist du in einer kleinen Gruppe, im Normalfall aber mit maximal 50 anderen Touris in den zum Teil recht engen Lavaröhren unterwegs. Die knapp stündige Tour bietet nebst der Entstehungsgeschichte auch eine Vielzahl von prächtigen Stalagmiten einen unterirdischen See, ja sogar eine Konzerthalle, die Dank des porösen Gesteins eine absolut phantastische Akustik haben soll.
oben: Höhlen Ein- und Ausgang
unten: Die fantastische Welt im Lavakanal (aufgepeppt by César Manrique)
Die Temperaturen sind so knapp um die 20°C und der Wind ist meist nur schwach. Wir glauben die Gelegenheit ist gut, nun auch schon mal die Lanzarote Bergwelt zu schnuppern. Wer uns kennt, weiss, dass wir Freunde von guter Fernsicht und spektakulären Klippen sind. Lanzarote soll da so einiges zu bieten haben, also nichts wie hin. Wir treffen und wieder auf der Nordwestseite der Insel auf den Famara Klippen, respektive seinem Surfers' Beach.
Nächster Blog: 5.4. Surfer Strände & Paragliders Klippen
Comments