auch bekannt als «Im Sumpf abgesoffen»
Es ist Ende Februar und wir sind nun schon seit sechs Wochen im griechischen Teil Zyperns, geniessen türkisblaue Traumstrände, herausfordernde Offroad Strecken und eine eindrückliche Inselbergwelt. Zypern ist so vielseitig und dabei haben wir längst noch nicht alles erlebt. Der zweite Teil unseres Zypern Abenteuers bringt uns nun in seine zweigeteilte Hauptstadt Nicosia und danach in den türkischen Teil, nach Nordzypern.
Es gibt wahrlich nicht viele Städte, geschweige den Hauptstädte, wo ein Übernachten so nahe zum Zentrum und doch so tief drinnen in der Natur möglich ist. Der Athalassa (National Forest) Park an der südöstlichen Ecke der Stadt ist genau so ein fantastischer Ort. Wir stehen hier zwischen mächtigen Bäumen und diese Naturoase liegt uns direkt zu Füssen. Trotz Wochenende ist an diesem Ende des Parks sehr wenig los. Ein paar Jogger, Radfahrer oder Spaziergänger sehen wir zwar schon, ansonsten hören wir aber nur Vogelgezwitscher, das Rauschen der Blätter in den Bäumen und – fast hätte ich das vergessen – allmorgendliche und allabendliche Marschmusik aus der nahegelegenen Kaserne. Da wird wohl wieder junges Frischfleisch für›s System gedrillt.
oben: Kleintierwelt im Athalassa Park, Nicosia
unten: Die Fotojägerin unterwegs im Mini-Jungel
Da Nicosia viele, geräumige und auch noch zentrumsnahe Parkplätze anbietet, fahren wir ausnahmsweise mal mit dem Unimog bis in die Stadtmitte. Schon beim ersten, finden wir einen Spot, an dem unser Koloss mühelos sein Plätzchen findet. Alles gut gesichert, geht es nun zu Fuss weiter auf die Entdeckung des seit der türkischen Invasion im Jahre 1974 zweigeteilten Nicosia. Traditionsgemäss verschaffen wir uns zu Beginn einer solchen Entdeckungstour einen Überblick von oben. Dazu bietet sich der Shacolas Tower bestens an. Neben der tollen Aussicht wird uns auch Nicosias Geschichte näher gebracht. Traurig, traurig, was sich da vor fünfzig Jahren zugetragen hat. Man darf aber nicht vergessen, dass es die Griechen waren, die den Anschluss Zyperns an Griechenland erzwingen wollten und die Türken «lediglich» auf die Provokation reagierten. 10'000 mussten sterben, 250'000 wurden umgesiedelt und heute bezahlt die UN 2'000 Soldaten, um die grüne Linie, die UN Bufferzone, zwischen dem türkischen Nordzypern und dem griechischen Südzypern zu überwachen. Irrsinnig, insbesondere, da alle mit denen wir sprechen eigentlich gar keine Zweiteilung mehr brauchen. Sie leben alle glücklich mit- und nebeneinander. So läuft die grüne Linie also auch mitten durch die Altstadt von Nicosia oder Lefkosa, wie sie auf der türkischen Seite nun heisst. Das muss man gesehen haben und sich mal vor Augen führen. Da wirst du von den Behörden einfach mal aus deinem Haus geschmissen, weil irgendwelche Politiker entschieden haben, aus deinem Quartier ein Niemandsland zu machen. Wenn du Glück hast verbarrikadieren sie ja bloss deine Zufahrtsstrasse und Verunmöglichen dir «nur» den Gang zu deinem Nachbar. Auf der positiven Seite ist zu erwähnen, dass es seit ein paar Jahren wieder möglich ist, die grüne Zone zu überqueren. Das machen wir nach unserem Turmbesuch auch gleich zu Fuss und schlendern auf der Ledra Strasse bis zum Lokmaci Checkpoint. ID raus, Daten registrieren lassen und ID wieder rein. In weniger als einer Minute hat man diese Grenze überquert. Nun sind wir also in der Türkei, während unser FRAME geduldig in Südzypern auf uns wartet. Es mag vielleicht an den steigenden Temperaturen zur nahenden Mittagszeit liegen, aber wir empfinden den türkischen Teil dieser Altstadt irgendwie wärmer und heimeliger, auf jeden Fall orientalischer und bunter. Hier bezahlen wir wieder in türkischer Lira, wogegen drüben ausschliesslich in Euro verrechnet wird.
ganz oben: Blick vom Shacolas Tower nach Südzypern (links) und Nordzypern (rechts)
oben rechts: Büyük Khan, der geeignete Platz für eine Pause in historischer Umgebung
unten: Eigenart in Nicosia: An den Hauseingängen sieht man meist das Baujahr des Gebäudes
Wieder zurück in der EU spazieren wir entlang der grünen Linie und bewundern, wie die Bewohner mit viel Liebe diese unliebsame Grenze schmückten. Bestimmt gibt es hier nach fünfzig Jahren viele Schlupflöcher, um diesen offiziellen politischen Irrsinn zu umgehen. Um eine Aufhebung der Grenze sei man ja heute immer noch bemüht, aber keiner den wir treffen, scheint noch daran zu glauben. Zu verfahren ist die Situation zwischen der EU und der Türkei, zwischen Süden und Norden.
oben: entlang der grünen Linie bewundern wir die Barrikaden Artwork
unten: Stadtmauer am Famagusa Gate und das Freiheitsdenkmal (links)
Auch die Rückkehr vom Süden in den Norden mit FRAME ist kein Problem. Wir werden aber angewiesen, wenn wir Nordzypern erst in ein paar Tagen mit der Fähre verlassen wollen, müssten wir am Tag davor nochmals an dieser Grenze vorbeikommen. Das scheint uns etwas umständlich. Als Alternative fahren wir kurzerhand ins hiesige Strassenverkehrsamt, um unser Fahrzeug Visum bis Mitte März zu verlängern. Den Eintrag und den Stempel auf dem Formular haben wir innert Sekunden bekommen. Bis wir aber das Amt gefunden haben, irren wir fast zwei Stunden umher. Einer wollte gar unser Fahrzeug kurz wägen und war ganz beleidigt als ich das kategorisch ablehnte. Fazit: Frage die richtigen Fragen und vor allem Frage die richtigen Leute! Der Truckwäger war definitiv nicht der Richtige!
Der Nordzypern Plan ist, von ganz oben links, bis ganz oben rechts, alle Sehenswürdigkeiten und schönen Strände abzufahren. Unser Schicksal scheint aber noch ganz anderes mit uns vorzuhaben.
Vorerst geht ja noch alles nach Plan. Von Nicosia fahren wir in Richtung Camlibel, vorbei an Hotel ähnlichen Anlagen mit so anzüglichen Namen wie Playboy, Harem, Crazy Girl etc., Wir scheinen gerade die Sündenmeile von Nordzypern zu passieren. Etwa ein Dutzend solcher Etablissements auf zwei bis drei Kilometer schnurgerader Strecke. Da lässt man dem Käufer aber wirklich eine grosse Wahl. Wir wählen nun aber den Weg zum Friedhof, denn da gibt es eine ausgewiesene Wasserquelle, um uns für unser nächstes Offroad Abenteuer zu rüsten. In Nicosia haben wir natürlich auch schon Essen & Getränke gebunkert und wie üblich uns mit einer lokalen SIM Karte versorgt. Die Verzögerung mit dem Fahrzeug Visum zwingt uns heute wieder einmal einen Notschlafplatz zu beziehen, um nicht in die Nacht zu fahren. In der Dämmerung installieren wir uns deshalb heute leider viel zu nahe an der Durchgangstrasse aber wenigstens mit toller Aussicht auf den Dagdere Göleti Stausee. Wir sind definitiv keine Strassencamper, die Nacht wird entsprechend anstrengend, mit schweren Brummern, die die Strasse hinaufschnauben oder herunterquietschen.
Am kommenden Morgen wird dann noch die letzte Besorgung erledigt. Dieseltanken zu unglaublichen 98 Eurocents. Das günstigste, dass wir seit Beginn unserer FRAME Reisen je bekommen haben. Da macht Tanken wieder etwas mehr Spass. Voll bepackt und gut gerüstet suchen wir uns eine Strecke zum nordwestlichsten Zipfel der Insel. Bei Akdeniz geht es zuerst mal zurück an die Küste, von dort suchen wir uns den Weg Richtung Norden bis zur Spitze.
Vorbei an verlassenen Eco Camps und ebenso leeren Königsgräbern der Bronzezeit, scheinen wir die Zivilisation schon längst hinter uns gelassen zu haben. Da treffen wir plötzlich auf eine Hundertschaft im Sand stehen gelassener Soldaten. Mein Copilot warnt erst einmal: «Achtung, Militär! Da kannst du nicht durch!» Ich sehe aber kein entsprechendes Verbotsschild, noch eine Kaserne, einfach nur viele junge Leute in Uniform, die da herumsitzen und -stehen und gespannt auf uns schauen. Schnell stellt sich einer vor die Truppe, der ein paar Fetzen englisch spricht. Freundlich sind sie, wie immer und ja, kein Problem, ihr könnt hier durchfahren, wenn ihr das denn wirklich wollt. Nach nur ein paar Metern, stellen wir fest, dass wir das nicht wollen. Der Weg führt ins Unwegsame und verläuft sich dann irgendwo im Sand. Wir fahren retour und verabschieden uns bei den netten Jungs mit einem lieblichen Sound unserer Jakobshörner und bekommen ein strammes Salutieren zurück.
unten: Die Königsgräber von Akdeniz
Die Pisten, die nun folgen, sind teilweise immer noch sehr durchnässt und matschig, die Gegend aber unheimlich lieblich und eigentlich viel weniger verschmutzt als dass es und vorausgesagt wurde. Im Nachhinein verstehen wir auch den Grund dafür: Wo wir uns zur Zeit bewegen, fährt kaum jemand durch. Und tatsächlich treffen wir ab den Soldaten keine Menschenseele mehr. Nach etwas Offroad Fahrtechnik Training und Video Aufnahmen im Amazonas ähnlichen Terrain versuchen wir für die Nacht nochmals ans Meer zu gelangen. Es sind kaum noch zehn Kilometer bis zur Nordwest Spitze, aber eine solche Distanz auf diesen Pisten kann trotzdem mehrere Stunden bedeuten. Steil geht es herunter und die ausgewaschenen Rinnen sind teilweise so tief, wie unsere Reifen, das heisst schon über einen Meter. Da hineinzufahren wäre das Ende, ein Umkippen vielleicht sogar wahrscheinlich. Es herrscht angespannte Ruhe im Cockpit und volle Konzentration um Zentimeter genau an den Auswaschungen vorbeizukommen. Doch kaum unten angekommen eröffnet sich uns die nächste Herausforderung. Sumpf! Ich brauche diese Passage nicht einmal abzulaufen, schnell wird mir klar, dass ich unsere acht Tonnen hier nicht durchbringe. Auch eine alternative Piste nach rechts scheint, wie verhext, vom Steinschlag versperrt zu sein und ein Wenden zur Zeit eher unmöglich. Wir erwägen alle Optionen und alle Risiken. Wir entscheiden uns für das Rückwärtsfahren hinauf entlang den Auswaschungen. Fahre immer nur vorwärts hinein, wo du auch rückwärts wieder rauskommst, ist so eine Devise. Vom Rückwärtsfahren habe ich aber bis heute noch den grössten Respekt und wenn es dann auf jeden Zentimeter ankommt und auch noch steil hinaufgeht, dann schiesst das Adrenalin schon ganz schön ein. Wir wollen aber alles richtig und so sicher, wie nur möglich machen. So nehmen wir heute zum ersten Mal seit zwei Jahren unsere SENA Bluetooth Gegensprechanlage hervor, um eine optimale Kommunikation zwischen Fahrer und seiner Assistentin zu gewährleisten, die sich die Schlüsselstelle lieber von aussen und aus nächster Nähe ansieht. Es klappt vorzüglich. Die Anweisungen kommen klar und deutlich von der Aussenstation, sodass ich unser Häuschen im Schneckentempo rückwärts millimetergenau an der Gefahr vorbeimanövrieren kann. Wir sind echt stolz auf unsere Leistung und froh, dass wir bei den Vorbereitungen auch an dieses Kommunikations-Gadget gedacht haben. Wir hatten es noch nie gebraucht, aber heute hat es uns einen Riesendienst erwiesen.
In der Euphorie unserer Meisterleistung fahren wir vermutlich zwei Stufen zu entspannt auf die nächste Schwierigkeit zu. Eine etwas grössere Pfütze, wie wir sie eigentlich heute und in den letzten Wochen schon mehrere Dutzend Male durchfahren haben, liegt vor uns. In gewohnter Manier laufe ich sie ab und prüfe mit dem mitgeführten Bambusrohr die Tiefe und Bodenbeschaffenheit. Sie scheint mir nicht sonderlich schwierig, mit etwas Schmackes rein, komme ich da doch schnell wieder auf der anderen Seite raus, so glaube ich. Eine Minute später stecken wir fest.
Zu Beginn waren es kaum mehr als dreissig Zentimeter, eine halbe Radtiefe im Matsch. Dann erst mal ein paar Selbstrettungsversuche nach hinten und nochmals nach vorne, aber schnell merke ich, dass mich das immer tiefer in den Schlamassel bringt. Da bringt alles Jammern und Klagen nichts, wir sitzen im Sumpf und wir brauchen fremde Hilfe. Ob im Sand der marokkanischen Wüste oder im Morast des schottischen Moorlands, bis anhin haben wir uns immer mit eigenen Kräften befreien können. Hier und jetzt ist es aussichtslos, also mal tief durchatmen und gut überlegen, was zu tun ist.
Wir sind ja gestern erst in diesem Land angekommen, haben zum Glück aber schon eine lokale SIM Karte und eine Notfallnummer, die uns seit der letzten Teerstrasse noch in Erinnerung ist. Die Netzabdeckung ist gerade noch knapp gewährleistet, wir rufen mal an. Es antwortet die örtliche Feuerwehr, die uns wiederum zur Polizei verweist. Hier treffen wir auf die britische Stimme von Ahmed. Das ist für uns schon mal eine grosse Erleichterung, denn die Kommunikationsprobleme, wie wir sie mit der sonst nur türkisch sprechenden Bevölkerung oft haben, können wir mit ihm wenigstens ausschliessen. Er verspricht uns Hilfe zu organisieren und wir sind vorerst mal beruhigt. Schliesslich bekommen wir aber nur eine Telefonnummer zu einem lokal ansässigen Bauern mit Traktor. Und schon gehen die Kommunikationsprobleme wieder los. Der liebe Mann kann zudem unsere Standortangabe via WhatsApp nicht öffnen. Er meint schliesslich auch, dass sein Traktor nicht stark genug sei, um unsere acht Tonnen aus dem Sumpf zu ziehen. Wir sprechen bald wieder mit Ahmed und bitten ihn erneut um direkte Hilfe. Es ist bereits über eine Stunde vergangen und die Nachmittagssonne wird schon allmählich schwächer. Schliesslich erreicht uns die Nachricht, dass ein Traktor in unsere Richtung unterwegs ist. Ahmed hat dies von der Streife aus organisiert. Bei den Telefonaten mit ihm haben wir den Eindruck, dass er sich irgendwo in New York auf der Verfolgung einer Verbrecherbande befindet. Sirenen und lautes Gekreische im Hintergrund lässt uns verstehen, dass er vermutlich noch Wichtigeres zu tun hat, als zwei absaufende Schweizer aus dem Morast ziehen zu lassen. Wir warten und bangen um unseren FRAME, denn seine Hinterachse scheint langsam immer tiefer zu sinken. Ich laufe unzählige male auf den in Fahrtrichtung liegenden Hügel, um die Netzwerkverbindung zu gewährleisten und natürlich die nahende Hilfe zu erspähen. Meine Ohren bilden sich schon ein, Traktoren Geräusche zu hören, aber dann kommt doch wieder nichts. Ob die uns vielleicht vergessen haben?
Zweieinhalb Stunden sind inzwischen vergangen und kühler Schatten macht sich um uns herum breit. Wenn das so weiter geht, werden wir vor Einbruch der Nacht nicht rauskommen. Es wird allmählich frisch und die Gedanken, dass wir vielleicht die Nacht in totaler Schieflage im Sumpf verbringen müssen, lassen die Stimmung vollends zum Nullpunkt sinken. Die Frage, ob und wie wir das hätten vermeiden können, wird zur Streitfrage des bangen Wartens. Die Nerven liegen blank.
Im Nachhinein gibt es zwei Indizien der Gefahr, die ich übersehen habe und die uns, bei korrekter Deutung, von der Misere hätten bewahren können. Erstens, stehen wir tatsächlich in fliessendem Gewässer, einer richtigen Furt. Es ist nicht nur eine Stelle in der Regenwasser liegengeblieben ist und nach ein paar Wochen wieder austrocknet, es ist tatsächlich ein kleiner unscheinbarer Bach, der uns nun langsam aber sicher in den Schilf schwemmt. Zweitens hat es eben dieses meterhohe Schilf links und rechts dieser Furt. Ein klares Zeichen von hoher Feuchtigkeit und permanent durchnässter Erde mit entsprechend durchsumpftem Untergrund. Von unserer Seite gesehen nach der Furt, auf dem Weg hinauf auf den Hügel, sehen wir während unserer Wartezeit zudem Steinhaufen mitten auf dem Track. Hier haben wohl Ansässige ein Zeichen gelegt, um diesen Weg nicht weiter zu befahren. Leider hatte es dies auf unserer Seite nicht, wir kamen hier wohl von hinten, wo man keine Fahrzeuge erwartet hat. Alle diese Gedanken bringen nun nichts mehr. Wir stecken fest, warten nun schon bald drei Stunden auf unsere Retter und sind allmählich auch noch hungrig! Irgendwann kurz vor Sonnenuntergang täuschen mich dann meine Ohren nicht mehr. Der Sound eines Traktors wird immer lauter und klarer und dann sind sie endlich da. Omar und sein Freund sind über eine Stunde hier her gefahren um uns zu befreien. Da geht es gleich an die Arbeit. Leider haben die Jungs aber kein adäquates Abschleppseil dabei. Macht nichts, ich habe ja zwei Stück mit und die sind so gut wie ungebraucht. Die Feuertaufe für meine Bergungsgurte findet also im Schlamm statt. Der vordere Anschlagpunkt ist einfach und schnell befestigt und dann Daumen drücken und sachte aufs Gaspedal, um den Anzug des Traktors zu unterstützen. Mit jedem Versuch sinken wir tiefer ein, uns schwant Böses. Nun versuchen wir es von hinten, hier ist der Anschlagpunkt gerade noch knapp über Wasser. Aber auch das Rückwärtsziehen ist aussichtslos. Der Traktor gräbt sich mit seinen mannshohen Rädern in die trockene Erde und unser FRAME macht keinen Wank. Uns kommen schon fast die Tränen, rien ne va plus! Ich berate mich kurz mit den jungen Männern und die einzige Möglichkeit, die wir noch haben, ist ein zweiter John Deere, einer der stärksten Zugmaschinen überhaupt. Es ist jetzt schon klar: bis der zweite Traktor hier ist, wird es stockdunkel sein. Eine Wahl haben wir eh nicht, also machen wir uns auf ein Schlammspektakel in der Finsternis bereit.
Eine knappe Stunde später sind nun also zwei John Deere und vier junge Männer mit meinen beiden Bergegurten bewaffnet für den letzten Versuch. In der Zwischenzeit haben wir die einen halben Meter unter Wasser liegenden Spurrinnen etwas mit Steinen gefüllt. Wie genau es da unten aussieht wissen die Götter. Es ist tiefer, klebriger Sumpf! Die idyllische Schilflandschaft wird nun zur Grossbaustelle. Alle drei Fahrzeuge haben ihre Flutlichter auf die Gurte gerichtet. Und los geht es. Aber – oh Jammer – FRAME bewegt sich immer noch nicht. Die Hinterräder sind in der Zwischenzeit schon nicht mehr sichtbar und die Kiste ist in fürchterlicher Schräglage. Letzte Option: Mit den beiden Traktoren nach hinten rausziehen. Die Brummer wechseln noch einmal die Position und nun müssen wir zum Anschlagen bereits unter Wasser tauchen. Krampfhaft zwingen wir unsere Gedanken weg vom Übernachten im Schlamm und hin zum plötzlichen Erfolg, dass wir da in den nächsten Minuten rauskommen. Jetzt oder nie!
Die Jungs ziehen wie die Irren. Ruckartig und immer wieder aufs Neue. Meine Copilotin ist den Tränen nah, als ich endlich im Scheinwerferlicht feststelle, dass wir uns tatsächlich Zentimeter um Zentimeter nach hinten bewegen. «Wir schaffen das! Wir kommen da raus!» versuche ich sie aufzumuntern. Und tatsächlich geht es nach zwei Minuten Ruckeln dann plötzlich immer schneller, raus aufs Trockene.
Mein Gott sind wir jetzt erleichtert. Es ist schon fast wie ein Wunder, dass wir es nach so vielen Fehlversuchen doch noch geschafft haben. Die Freude bei unseren Rettern ist fast genau so gross. Mit zwei Salut Schüssen in den Nachthimmel beenden sie ihr Meisterwerk und tuckern gut entlohnt von dannen.
Wir bleiben nur zwanzig Meter vom Sumpfloch entfernt für die Nacht. Heute bringen uns keine zehn Pferde mehr irgendwohin. An unserer Aussendusche hier mitten auf dem unbefahrenen Track entledige ich mich vom Schlamm in dem ich bis zur Hüfte drin stand. Die Schadenübersicht von FRAME machen wir dann aber morgen bei Tageslicht.
Neuer Tag, neues Glück. Unser Unimog ist zwar aufs Übelste verschmutzt, fährt sich aber auch am nächsten Tag, als wäre nichts gewesen. Die Strapazen aus sieben Stunden im Morast, Vorderachse einen halben Meter und Hinterachse einen Meter unter Wasser, dem Unimog scheint selbst das nichts anzuhaben. Einzig unser rückwärtiges Kontrollschild ging uns bei der Aktion irgendwie verloren. Vielleicht hängt es ja auch irgendwo als Trophäe oder findet sich im Sommer wieder, wenn die Furt schliesslich doch noch austrocknet.
Wir fahren ein paar Kilometer weiter auf eine grüne Wiese zur Generalreinigung und genaueren Kontrolle von Equipment und Fahrzeug. Auch heute kommt uns in dieser gottverlassenen Gegend keine Menschen-seele zu Gesicht. Es ist ein wunderschöner Ort und wir sind ihm keinesfalls Böse über unsere gestrige Erfahrung. Ganz im Gegenteil. Auch unsere Overlander Freunde beteuern uns über unsere sozialen Kanäle, dass solche Erfahrungen einfach dazugehören. Wie sagen sie so treffend: «You haven›t been 4-wheeling, if you haven›t been stuck.» Für uns war schon immer klar, wenn man die Grenzen des Möglichen ausloten will, muss man sie auch mal überschreiten. Und jede Erfahrung, sei sie noch so schmerzlich, macht uns besser und stärker.
Im Anschluss an unser Sumpf Abenteuer wollen wir eigentlich nur noch einen Haken auf unserer Liste setzen: Das Entdecken und Entspannen an einem schönen Sandstrand. Hierzu fahren wir vom äussersten Westen in den äussersten Osten von Nordzypern, zum Golden Beach. Auf dem Weg dahin stoppen wir aber dennoch kurz bei einer Garage, um uns FRAME auch noch von einem Fachmann beäugen zu lassen. Wir können es kaum glauben, dass er das wirklich so schadlos überstanden hat. Ein kleines Ölleck an der Vorderachse überzeugt uns schliesslich dort einen Dichtungsring auszuwechseln. Ob dies aber tatsächlich von der Sumpftragödie herrührt, ist ungewiss. Es kann sich gerade so gut um eine altersbedingte Abnutzung handeln. Egal, wir wechseln es besser mal aus, obschon hier leider keine Unimog Originalteile erhältlich sind. Ob das schliesslich die richtige Entscheidung ist, wird sich zeigen.
Den Lohn unserer Strapazen geniessen wir also am Golden Beach in der Dipkarpaz Region. Total einsam und viel weniger verschmutzt als man uns vorgewarnt hat, treffen wir hier auf einen zwei Kilometer langen Sandstrand mit türkisblauem Wasser. Herrlich, traumhaft! Als einzige Nachbarn haben wir in Gehdistanz Hassan, seine Frau und ihre beiden Hunde Alex und Ella. Hassan, ein Rudolf Steiner Kenner, lebt hier permanent und betreibt in den wärmeren Monaten ein kleines Restaurant und Eco Camp. Er ist nicht nur der Platzhirsch an diesem kleinen Paradiesstrand, er ist auch unheimlich nett und zuvorkommend. Wir hätten es hier sicherlich ein paar Wochen ausgehalten, aber wir haben ja noch eine lange Rückreise vor uns und die Fähre zurück nach Tasucu ist schliesslich gebucht. Adio und Güle Güle (Nord-)Zypern, wir kommen bestimmt mal wieder!
unten: Wetterstimmungen am kilometerlangen einsamen Golden Beach
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