Wie jeden Herbst nerven uns die tagelangen Hochnebeldecken, die immer kürzer werdenden Tage und das kalt nasse Wetter schon seit geraumer Zeit. Eigentlich haben wir uns mal darüber geeinigt, dass wir bei Temperaturen unter elf Grad Reissaus nehmen. Warum gerade bei elf Grad? Ja das ist eine lange Geschichte, die ich vielleicht irgendeinmal erzählen werde. Nur soviel dazu: Wer unser Unimog Kontrollschild kennt, kann sich vielleicht einen Reim daraus machen.
In der Zwischenzeit ist sogar die Adventszeit angebrochen, der erste Schnee gefallen und wir kämpfen uns immer noch zwischen gestressten Weihnachtsshoppern durch die kalten Strassen. Einziger Trost ist die teilweise doch sehr schöne Weihnachtsbeleuchtung, kleine gelbweisse Lichter, die aber die Kälte auch nicht wirklich angenehmer machen. Schliesslich ist es soweit. Wir haben die letzten Termine erledigt und uns schweren Herzens von unseren Liebsten wieder einmal verabschiedet. Wir sind dann mal weg!
Das Ziel ist die Sonne, die Wärme, die Richtung ist der Süden. Es wird unser dritter Winter sein, den wir mit unserem Unimog in wärmeren Gefilden verbringen wollen. Nach Marokko vor zwei Jahren und Zypern im Vorjahr soll es auch diesmal wieder an einen neuen Ort gehen. Wir sind Entdecker und Abenteurer, somit ist zweimal das gleiche Ziel – zumindest für den Moment – undenkbar, mögen sie noch so spannend und schön gewesen sein. Auch wenn Winterreiseziele mit einem Unimog nicht gerade wie die Orangen auf den Bäumen wachsen, so haben wir doch noch so einiges zu entdecken. Einzig die Himmelsrichtung ist gesetzt. Es kann nur Richtung Süden gehen.
Das Endziel lassen wir vorläufig mal noch offen, wir fahren aber einmal mehr via Südfrankreich nach Spanien. Diesmal erkunden wir die Rhone Route, die kennen wir noch nicht und die Chancen ohne Schnee und Eis durch die Alpen zu kommen, scheinen uns da vernünftig zu sein. Glücklicherweise scheint an unserem Abfahrtstag nach langer Zeit wieder einmal die Sonne. Selbst im sonst nebeligen Zürich lacht uns heute schon vor dem Motoraufwärmen unser liebster Reisebegleiter entgegen! Trotzdem geht ohne Sitzheizung und Schaffell am Popo bei meiner Copilotin erstmal gar nichts. Der Kälte zum Trotz sind wir überglücklich wieder «on the road» zu sein. Welche Menschen, welche Erfahrungen, welche Abenteuer erwarten uns wohl diesen Winter?
Kurz nach Genf treffen wir planmässig auf die Rhone, die sich dampfend aber lautlos in südwestlicher Richtung schlängelt. Nach rekordverdächtigen 364 Kilometern quer durch die Schweiz und rein in die französischen Hochsavoyen, legen wir kurz vor Sonnenuntergang zum Ankern an. Die erste Nacht in der Nähe von Anglefort wird für FRAME noch bitterkalt. Minus zwei Grad zeigt uns morgens das Garten-Thermometer, derweil wir es in der Kabine so kuschelig warm haben. Ich mag mich nicht erinnern, dass ich jemals Eis von der Windschutzscheibe kratzen musste, heute geht es nicht ohne. Ach wie sehnsüchtig sind wir nach mehr Wärme, nach den Tagen, wo wir in bezaubernder Natur auch mal vor dem Wagen sitzen und den Vögel lauschen können. Na gut, heute noch nicht, mal sehen was der nächste Tag bringt.
Die Weiterfahrt gestaltet sich idyllisch, teilweise im Dunst der schwitzenden Rhone, dann aber schon bald im strahlenden Sonnenschein immer wieder mal den Fluss überquerend. Die Dörfer sind wie ausgestorben, man fragt sich, wie lange hier die Alten noch die Stellung halten können, ehe niemand mehr gewillt ist, hier zu leben. Dorfläden gibt es meist schon lange nicht mehr und wo die Einwohnerzahl noch vernünftig hoch ist, sind die traditionellen Boulangeries und gemütlichen französischen Strassencafes schon längst von den Backwaren- und Fastfoodketten ersetzt worden. Auch wir sehen uns gezwungen, unser morgendliches Croissant in einem Marie Blachere Ableger zu besorgen. Es leben die guten alten Zeiten, wo du noch butterige Hände bekommen hast, dafür dein Croissant nicht in tausend Brösel auf deinem Schoss gelandet ist.
oben: Im Rhonetal wechseln Nebel und Sonne
unten: Die dampfende Rhone wird mehrmals überquert
Je weiter wir durch die Departemente Isere und später Drôme in den Süden gelangen, desto mehr verliert die Flussidylle ihren Zauber und die Industrie bestimmt die Szenerie. Schon bald prägen AKW Kühltürme und Wasser-dampfschwaden den Horizont. Es sind Bilder, die uns umso mehr vom Anblick des Meeres träumen lassen, das wir hoffentlich schon morgen erreichen werden. Am Ende des Fahrtages werden wir aber einmal mehr mit einem tollen Übernachtungsplatz beschert. Wir rasten in absoluter Ruhe mit Weitblick auf einer Anhöhe des Mont Bouquet. Nur ein paar verwegene Gleitschirmflieger kreuzen unsere Blicke zur untergehenden Sonne.
Die Nacht ist spürbar wärmer. Wir sind nun schon knapp bei zweistelligen Plusgraden und am Rande der malerischen Provence. Es ist leider zur Zeit nicht die richtige Saison, um die Schönheit dieses Teils Frankreichs zu geniessen. Wir begnügen uns mit den Bildern in unseren Köpfen und den Erinnerungen an die kontrastreichen Lavendelfelder, die es in dieser Gegend üblicherweise gibt. Die Bilder in unseren Köpfen und die schönen Erinnerungen sind ohnehin wichtige Bestandteile einer langen Fahrt an ein fernes Ziel. Die Gegend, die wir gerade durchqueren, triggern die Themen und geben die Inspiration zu den Gedanken und Diskussionen während unseren Fahrten. Da mögen diese rein umgebungstechnisch noch so banal sein.
Wir sind in Südfrankreich angekommen. Montpellier, Beziers, Narbonne und wie sie sonst noch heissen, für uns fürchterliche Grossstädte, die wir zwangsweise tangieren. Die Belohnung dafür ist der erste Blick aufs Mittelmeer. Mit der niedrig stehenden Wintersonne spiegelt sich das Wasser, wie in keiner anderen Jahreszeit. Ein erstes Etappenziel ist in greifbarer Nähe. Beim Abzweiger von der Hauptstrasse treffen wir mal wieder auf eine für uns unmachbare Höhenbegrenzung. Wir geraten kurz ins Stocken, bleibt uns nun der angepeilte Übernachtungsplatz direkt am Wasser verwehrt? Nicht umsonst haben wir ein Expeditionsfahrzeug. Wir schleichen uns auf unwegsamen Pfaden, zwar etwas kompliziert, aber zielgerichtet zum Ort unserer Begierde. Weit weg vom Getöse der über kilometerweit hörbaren Autobahnen und Hauptverkehrslinien gelangen wir zum dritten und bereits letzten Übernachtungsplatz in Frankreich. Wir treffen ein paar nette Franzosen und eine Unmenge von Flamingos, ansonsten sind wir für uns, ganz allein. Doch morgen heisst es schon wieder «Adieu La France» und «Viva Espagna».
oben: Am Etang de Salses stehen wir mit den Flamingos
unten: Abendlicht am Etang
Zum ersten Mal seit der Schweizer Grenze gelangen wir heute, am Tag vier auf einen Teilabschnitt, den wir vor zwei Jahren auf dem Weg nach Marokko schon mal gefahren sind, die französisch – spanische Grenze bei Le Perthus. In Girona dann ein kurzer Abstecher, um uns zwei SIM Karten und ein paar Badeschuhe zu besorgen und weiter geht es zur Costa Brava. Im Zeitalter des Online Shopping darf man sich zurecht fragen, warum wir noch immer unsere SIM Karten im Geschäft, bei richtigen Menschen besorgen. E-SIM Karten haben durchaus ihre Berechtigung und speziell für Overlander, die des Öfteren mal eine Landesgrenze überqueren, versprechen diese Simplizität und Vielseitigkeit. Bis heute konnten diese Argumente aber unsere Bedenken der Abhängigkeit von einem System bestimmten Netzwerk nicht zerschlagen. Was nutzt uns eine rasche Verbindung gleich nach dem Grenzübertritt, wenn drei Täler weiter die Netzabdeckung nicht mehr gewährleistet wird. Da bringt auch eine versprochene schnelle Up- und Download Rate nichts. Die grösstmögliche Abdeckung ist für uns das Wichtigste und daher kaufen wir nach Möglichkeit auch immer gleich zwei der abdeckungsstärksten SIM Karten eines Landes. Schon unzählige Male ist es in den drei Jahren, seit wir reisen, passiert, dass nur noch eine SIM Karte Verbindung hatte. Nie waren wir aber jemals ganz ohne, selbst auf der abgelegensten offroad Strecke im marokkanischen Erg Chigaga, konnten wir in einer sich anbahnenden Notfallsituation noch kommunizieren, wenn auch nur knapp. Ich denke nur ein Satellitentelefon leistet hier zuverlässigere Dienste und würde für uns in aussereuropäischen Regionen noch Sinn machen.
In Nordspanien ungestört am Strand zu übernachten ist nicht ganz einfach. Zu gross muss hier im Sommer der Ansturm von Wildcamping Liebhabern sein und zu undiszipliniert sich solche wohl in der Vergangenheit verhalten haben. Fakt ist, die Gegend ist stark besiedelt und die Möglichkeiten für legales Freistehen äusserst limitiert. Aus diesen Gründen versuchen wir unser Glück im Norden Spaniens viel lieber in den romantischen Pinienwäldern auf den Anhöhen mit fantastischem Blick aufs Meer und den Sonnenaufgang.
Erster Pitch in Spanien: Costa Brava mit Blick auf den Sonnenaufgang
Wir haben Tag fünf, rollen nun seit gestern in Spanien entlang der Küste und geniessen bereits Temperaturen nahe der 20 Grad Grenze. Ein klares Zeichen, dass wir die gewünschte Wärme erreicht haben, ist der Befehl meiner Beifahrerin: «Schalt doch bitte mal die Klimaanlage ein!» Heute ist es tatsächlich schon soweit. Die flache Wintersonne am Mittagshimmel brennt durch unsere auffallend senkrecht stehende Windschutzscheibe. Lagebedingt auf dieser Strecke Richtung Südwesten kriegt der Fahrer viel mehr ab von der lieben Sonne. Somit kommt Brigitte's Aufforderung wie eine Erlösung für mich.
In Spanien ist selbst das mautfreie Fahren äusserst direkt und schnell, sodass wir auch heute wieder weit über 300 Kilometer schaffen. Barcelona wird grossräumig umfahren. Danach geht es auf unspektakulären Autobahnen durch Industrie- und weitläufige Agrarzonen, eine nach der anderen. Die Umgebung wirkt grüner auf uns, als vor zwei Jahren. Das mag an der Jahreszeit liegen – wir sind rund fünf Wochen später unterwegs als damals – oder an den heftigen Regenfällen, die die Region vor Kurzem heimgesucht haben. Wir sind uns aber einig, dass Spanien erst ab Valencia seinen Charme bekommt und daher brettern wir vorerst noch so zügig, wie nur möglich.
Inzwischen haben wir die Orangen- und Mandarinen-Plantagen erreicht, wofür Spanien so bekannt ist. Paradoxerweise führen wir auch noch ein paar Mandarinen von zuhause mit. Wir bringen sie vermutlich zurück zu ihrem Ursprung. Fehlt nur noch, dass sie aus der Obstschale kugeln und ein wehmütiges «Oh, mi casa!» japsen.
Am Ende des Tages schlagen wir uns aber nicht in eine der zahlreichen Orangenplantagen, sondern an die Gestade eines Stausees kurz vor Valencia. Die Anfahrt ist ziemlich eng, dafür haben wir das ganze Seeufer für uns alleine. Abends, in weiter Ferne, noch ein einsamer Fischer, der uns freundlich zuwinkt und früh morgens schon ein paar Radfahrer Gruppen, die hoch über uns auf der befestigten Strasse vorbeikurbeln und fröhlich quatschen. Mit der gestrigen Mega Etappe von zirka 370 Kilometern, haben wir uns weiteren Druck von den Schultern genommen, ein von uns gestecktes erstes Zwischenziel zu erreichen. Soviel sei verraten, wir haben einen zeitnahen Termin mit einer Fähre, die vermutlich nicht auf uns warten will.
Auch Valencia lassen wir heuer links liegen. Diese interessante Stadt haben wir bei unserer letzten Reise noch intensiv besucht und sind dort gleich mehrere Tage verweilt. Anstelle gehen wir heute wieder einmal Lebensmittel shoppen, um uns für die bevorstehenden Feiertage zu rüsten.
Ein kleines Stück nach Ontinyent stechen wir rechts hinauf auf einen etwas über 700 m ü. M. liegenden Bergrücken, wo es ausnahmsweise mal keine Sender noch Windräder gibt. Wir platzieren uns an einer der wenigen flachen Stellen auf diesem Naturweg und sind schon mal hell begeistert vom Panoramablick von Ost bis West. Der Hammer kommt aber noch, wie wir aussteigen. Ein fantastischer Duft von Rosmarin steigt uns unmittelbar in die Nase. Wir finden uns ganz überraschend inmitten eines unendlich grossen Kräutergartens wieder, umgeben von wilden Rosmarin und Thymian und wildem Spargel, Kermeseiche, die Nizza-Fetthenne und verschiedenen Arten von Zistrosen. Weitere bis anhin uns unbekannte Pflanzen werden kurzerhand mit der App mit bis weit über 90 prozentiger Sicherheit bestimmt. Technik und Natur, muss sich ja nicht immer widersprechen. Spanien überrascht uns immer wieder mit solch fantastischen, einsamen Naturschauplätzen, wo wir kurzerhand unser FRAME Hotel aufbauen und uns gemütlich niederlassen. Inmitten dieses wundervollen Rosmarin Duftes bruzzeln wir uns zum Sunset noch ein saftiges Entrecote, gebraten im und geschwängert vom Duft des wilden Rosmarins, versteht sich.
Zum Glück planen wir unsere Trips immer mit genügend Reserven, um an Orten, wie diesen, einen Tag Pause einlegen zu können. Das Wetter ist wie erwartet herrlich und die frischen Kräuterdüfte lassen uns einfach noch nicht los. Auf geht's auf eine kleine Wanderung über den Bergrücken. Obschon es Wochenende ist, treffen wir den ganzen Tag über auf keine handvoll von Menschen, eine Einsamkeit, die wir gerade nach der Vorweihnachtshektik so lieben.
Gestärkt und revitalisiert machen wir uns auf die letzte Etappe vor der kleinen Weihnachtspause. Diesmal steuern wir zum ersten mal einen uns bereits bekannten Ort an. Er war so spektakulär vor zwei Jahren, dass wir dort eine ganze Woche verbracht hatten. Mehr als zwei Tage werden es dieses Jahr nicht sein, aber die Weihnachtsfeiertage haben ja wohl einen etwas spezielleren Platz verdient. Der Piratenstrand an der Costa de Almeria ist unsere Location der Begierde. Ein enger steiler Pfad führt ein paar Kilometer südlich von Aguilas auf eine Klippen-Plattform mit Ausblick und Zugang zum türkis-blauen Meer. Romantischer kann ein Stellplatz kaum sein. Die Rampe hinunter ist in der Zwischenzeit etwas buckliger und sandiger geworden. Hinunter ist das ja kein Problem, ob wir da auch wieder heraufkommen, werden wir dann nach Weihnachten sehen.
Einer der coolsten Plätze am spanischen Mittelmeer: Piratenstrand an der Costa de Almeria
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