
Wir erholen uns langsam von unserem ausgesaugten Zustand nach der Visite bei Graf Dracula. Auch die wieder ansteigenden Temperaturen lassen uns daran erinnern, dass wir eigentlich ein weiteres, «höheres» Ziel haben. Wir wollen in den Südkarpaten auf einer ausgewiesenen Offroad Strecke bis auf 2000 M.ü.M. kommen und dort in kühler Umgebung phänomenale Weitsichten geniessen. Auf zur wohl imposantesten Gebirgstrasse Rumäniens, auf zur Transalpina. Wenn der Berg uns ruft, dann kommen wir Schweizer!
Unser Weg führt uns einmal mehr über sehr gute Strassen von Hatag nach Petrosani, wo wir unsere Vorräte nochmals richtig aufstocken. Man weiss ja nie beim off-roaden in den Bergen, was da alles passieren kann. Insbesondere könnten wir ja auch dort oben wieder einen Ort finden, der uns nicht so schnell wieder ziehen lässt, weil er so wunderschön ist. Schon der erste Versuch war erfolgreich, um bei einer Tankstelle Frischwasser zu bunkern. Wasser 100% voll. Essen und Getränke voll. Batterien in der Zwischenzeit, dank der über 100 Kilometer langen Fahrt auch wieder 100% voll. Wir sind gerüstet für das nächste Abenteuer.
Nach Petrosani fängt das Abenteuer auch gleich schon an. Grenzwertig für Fahrzeuge unserer Grösse schlängeln wir uns auf den Groapa Seaca Pass hinauf. Die Autofahrer auf dieser Strecke sind erstaunlich verständnisvoll und beim Passieren zuvorkommend. Vielleicht geniessen wir ja auch einfach nur ihren Respekt, weil sich hinter dem nächsten Felsvorsprung plötzlich unser FRAME mit 3.45 Metern Höhe und breiten Schultern zeigt. Neben den spitzen Kurven und engen Strassen sind es vor allem die Felsvorsprünge, die es für uns hier zu beachten gibt. Die grosse Verschränkung des Unimogs bringt es mit sich, dass der Wohnaufbau auch mächtig mitschwingt. So können wir gut und gerne quasi plötzlich einen halben Meter «breiter» werden, als wir sonst schon sind. Beim regelmässigen zur Seite fahren, um schnellere Verkehrsteilnehmer vorbeizulassen, wird uns jedenfalls immer mit den Warnblinkern gedankt.

Der Unimog schnauft den Berg hinauf, aber eigentlich macht er es mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Schon bald biegen wir auf die Transalpina Strecke ein, die sich im Vergleich wie eine Autobahn anfühlt. Es geht nun in südlicher Richtung bergauf. Spitzkehre um Spitzkehre. Ein PW schaltet hier mindestens in den zweiten Gang hinunter. Unser FRAME macht es im fünften im Splitgetriebe. Das ist der niedrigste Gang der höheren Gruppe (Gang 5-8). Eine unglaubliche Performance, die da aus unserem Turbomotor kommt. Nicht schnell, aber stark.
Kurz vor dem Pass biegen wir links auf einen Naturpfad ein. Hier beginnt die off-road Strecke. Schon jetzt ist das Panorama umwerfend und wir könnten schon auf jeder Kuppe Nachtlager beziehen. Wir wollen aber noch etwas Distanz zur «Autobahn» gewinnen und ganz unentdeckt stehen können. Wir tuckern auf sehr steinigem aber festen Untergrund der Bergkuppe entlang. Immer wieder rückt Brigitte etwas näher zu mir, denn auf ihrer Seite ist es steil abfallend. Immerhin steigt sie nicht mehr aus, auch sie wird langsam zur geübten Offroaderin ;-)
Nach zirka zehn Kilometer Ruckelpiste und im zweiten Versuch, glauben wir unser Standplatz für die Nacht gefunden zu haben. Wir positionieren uns etwas unterhalb des Weges auf einer kleinen Plattform im Gras und geniessen erst mal den unglaublichen Blick ins vor uns liegende Tal und die Berge dahinter (Bild o.l.). Erst beim Anschauen des Videomaterials unseres allabendlichen Drohnenfluges entdecke ich, dass wir etwas knapp über einer felsigen Kante stehen. (Bild o.r.)
Sollte es Regen geben und ich aus irgendwelchen Gründen beim Hinauffahren zur Strasse auf der nassen Wiese ins Rutschen kommen, dann könnte das im schlimmsten Fall zum Problem werden. Es raubt mir den Schlaf, meiner Liebsten neben mir sage ich aber lieber noch nichts. Am kommenden Morgen bin ich dann mal schnell in Aufbruchstimmung. Natürlich erkläre ich Brigitte meine Bedenken und, Surprise, sie will da nun auch schnell weg. Etwas Regen ist erst für den späteren Verlauf des Tages angesagt, aber in den Bergen weiss man ja nie. Solange ich nicht weiss, wie sich unser FRAME im nassen abschüssigen Gras verhält, suchen wir uns lieber Plätze, die auch eine Flucht nach unten offen lassen. Gesagt, getan.
Kaum ein paar Kilometer weiter eröffnet sich uns eine Möglichkeit mit Panorama Rundumsicht und Blick auf den Vidra-See. Einmal mehr ein Traum eines Standplatzes und wirklich nur mit einem Expeditionsfahrzeug so zu geniessen. Wir stehen im Sattel zwischen dem Mount Puru im Nordosten, der uns noch um 150 Meter überragt und einem kleineren Hügel im Westen. Der Puru ist auf der Wetterseite und schützt uns gut vor starkem Wind. Im Norden freien Blick auf den Vidra-See, dahinter der nördliche Teil der Südkarpaten. Der Nordwesten bietet allabendlich ein wunderbares Naturschauspiel bei untergehender Sonne. Gen Süden sehen wir in zirka sieben Kilometer Entfernung den oder die Galbenul, Musetoaia und Micaia. Alles über Zweitausender und somit zählen sie zu den höchsten Gipfeln hier in den zentralen Südkarpaten.


Wo wir hier wirklich gelandet sind, realisieren wir erst in den kommenden Tagen. Denn, ja, solange bleiben wir an diesem wundervollen Ort. Steht unserem Shangri-La im Apuseni um nichts nach. Wir sind zwar knapp über der Baumgrenze und somit wirkt unsere Umgebung etwas weniger verträumt, der Weitblick in alle Richtungen ist aber einmalig. Ich muss dazu erwähnen, dass wir in der Planungsphase immer von solchen Orten mit grosser Fernsicht geträumt haben. Es wirkt so inspirierend und bedeutet für uns die absolute Freiheit. An einem solchen Ort nun auch noch übernachten zu dürfen ist Luxus pur. Mit schönen Hotelzimmern kann man uns nicht mehr wirklich begeistern. Wir sind berufsgeschädigt und haben schon so viele toll ausgestattete und auch luxuriöse Hotelzimmer gesehen. Aber was wir hier heute haben ist einfach unbezahlbar.
Unsere Terrasse mit Blick auf den etwa sechshundert Höhenmeter unter uns liegenden Vidra-See ist ein kurz geschorener Heidelbeerhain. Wir sind in allen Richtungen umgeben von Heidelbeersträuchern. Selbstverständlich gibt es ab heute zweimal täglich frische Heidelbeeren. Zum Frühstück im Müesli und sonst mal zwischendurch bevorzugt mit Griechischem Joghurt. Die Heidelbeer-Jäger und die Schafhirten sind dann auch etwa die einzigen Menschen, denen man hier oben begegnen kann. Ach nein, da sind natürlich auch noch die Offroader. Teilweise mit Motorrad oder dann in Geländewagen. Aber eigentlich sind diese fast nur am Wochenende zu treffen. Unter der Woche wird es dann wirklich sehr sehr ruhig. Umso mehr waren wir fast schon ein wenig erschrocken, als uns ein kleiner Unimog U1200 bis auf einen Meter an den Karren heran gedonnert kommt. Es sind Andreas und Ewald, zwei Deutsche, die sich für ein paar Wochen aus dem Hamsterrad verabschiedet haben, um mit ihrer kleinen Mordsmaschine die Pisten dieser Welt zu befahren. Die beiden Naturburschen sind ja so bescheiden und entbehren während ihren Reisen sehr viel vom häuslichen Komfort. Ganz im Gegensatz zu uns. Wir haben ja alles an Komfort, was wir auch zuhause hatten. Nur eben hier noch die Natur, Idylle und Fernsicht dazu. Andreas ist ein Unimog Kenner der Sonderklasse. Er hat unseren FRAME einmal abgescannt und weiss Bescheid. Neben vielen nützlichen Tipps vermacht er uns auch eine Kopie von wertvollen Details zum Fahrzeug. Mehr kann ich dazu nicht sagen, aber ein grosses Dankeschön an Andreas und seinen Reisekumpanen.
Als wir uns vom Unterland nähe Hunedoara verabschiedet haben, stand das Thermometer schon wieder knapp vor 40°C. Jetzt auf 1'900 M.ü.M. und nach dem ersten Regen sind es frühmorgens noch knappe 7°C. Tut der Romantik hier oben aber keinen Abbruch. Auch der Regen ist ein Naturschauspiel für sich. Und das Gute ist, dass er hier in den Bergen so rasch wieder verschwindet, wie er gekommen ist. In den kommenden Tagen haben wir also Regen, Nebel und Sonnenschein. Ein Kunterbunt ganz nach Petrus' Laune. Wir schmeissen des Öftern mal unsere Webasto Fussbodenheizung an, um wohlige Wärme zu erhalten. Für ein Lagerfeuer am Abend ist es meiner Liebsten aber nun zu nass und zu kalt. Trotzdem steige ich ein paar mal in den rund fünfzig Höhenmeter unter uns liegenden Wald ab, um mir ein paar tote Bäume heranzuschleppen.
Gross ist meine Vorfreude auf ein richtiges Bonfire und vielleicht mal ein Steak vom Holzgrill anstatt Gas-. Schliesslich vermache ich meine Holz Mise-en-place einem glücklichen Mitmenschen, der meine vorbereitete Feuerstelle mal entdecken wird. Wir sind nämlich unverrichteter Dinge weitergereist. Nächstes Ziel ist Sibiu, um endlich wieder mal Wäsche zu machen. Vorher wollen wir aber unbedingt noch eine Nacht an diesem von dichten Wäldern umgebenen Vidra-See verbringen auf den wir nun seit Tagen heruntergeschaut haben.
Am Ende der Offroad Strecke wird zuerst noch kurz der Unterfahrschutzbügel wieder in die tiefere Position gebracht und weiter geht's. Bevor wir nun aber talwärts fahren, überredet mich meine Co-pilotin noch ganz rauf auf den Transalpina Pass zu steigen. Nicht ganz ohne Hintergedanken navigiert sie mich also zuerst mal rauf, statt runter und schon stehen wir oben im Freiluft-Shopping für Touristen. Warme Schafsfell Pantoffeln sind das Objekt der Begierde. Brigitte hat solche schon mal hier gekauft, aber leider zuhause gelassen. Es kommen dann noch ein transsylvanisches Holzbrett und ein Heidelbeerschnapps dazu. Für den Gaumen gibt es hier endlich mal die lang ersehnten Baumkuchen, hier genannt Cozonac. Ein Zucker Explosiv der Sonderklasse, aber er schmeckt himmlisch.
Die Transalpina hat nicht nur einen Pass, sondern gleich zwei, weil er aus zwei Bergrücken mit einer leichten Senke dazwischen besteht. Irgendwelche Kräfte treiben uns auch noch zum nächsten und dann passiert es wieder. Wir sehen einen Spot, der ist so fantastisch schön, dass wir für die Nacht bleiben wollen. Es ist zwar kaum 15 Uhr, aber was soll's. Morgen ist auch noch ein Tag für den See und die Wäsche kann sowieso warten. Wir beziehen also frühzeitig Nachtlager mit einer gewaltigen Rundumsicht. Die Drohne schicken wir schon mal rauf zur zweiten Passhöhe, denn da wollen wir ja morgen auch noch hin. Wir stehen inmitten von verwurzelten Sträuchern und es ist überraschend sauber hier, auch wenn wir unweit der Hauptverkehrsachse über die Transalpina sind. Wir geniessen einmal mehr die Abendstimmung und der einsetzende Regen vermiest mir zwar schon wieder mein Lagerfeuer, aber nicht unser Glück über 2'000 M.ü.M. ganz nah an den Wolken zu sein.
Am nächsten Tag geht es dann noch die letzten Spitzkehren zum zweiten südlichen und höheren Übergang der Transalpina. Es jagen sich unzählige Touristen mit Auto und Motorrad die Passstrassen rauf und runter. Nur äusserst selten sehen wir einen Camper Van und bis anhin noch keinen einzigen Overlander. Klar machen wir nochmals Halt beim Freiluft Shopping und kaufen nochmals zwei von den kuscheligen Schafsfell Pantoffeln. Drei Paare sind doch besser als eins. Wer dies nicht versteht ist entweder männlich oder hat von Schnäppchen keine Ahnung ;-).
Mit etwas Rückstand zum ursprünglichen Reisefahrplan machen wir uns also auf den Abstieg. Wieder Richtung Norden und in der Hoffnung am Vidra-See ein neues interessantes Fotosujet zu finden. Die Motorbremse kommt stark zum Einsatz, um die Bremsen zu schonen. Oft werden wir von am Strassenrand rastenden Touristen nett begrüsst. Brigitte wundert sich, ob wir vielleicht einen speziellen Laut von uns geben, da sich viele Köpfe in unsere Richtung drehen, wenn wir «vorbeirauschen». Kann aber sein, dass es auch unser Schneckentempo ist, denn unser Schwergewicht schleicht sich nur langsam den Berg herunter.
Die Baumgrenze ist schon bald erreicht und der transsylvanische Wald wird immer dichter. Ein wunderbarer, tiefgrüner Tannenwald mit, was uns scheint, gesunden Bäumen. Umso schockierender ist es zu wissen, dass dieser Wald gerodet wird, wie kein zweiter in Europa. Wir schauen gerne zum Amazonas, um Umweltdesaster der Waldrodung zu beklagen, dabei haben wir die gleiche Katastrophe fast vor der Haustür. Die Rumänen lassen sich dabei von den Österreicher helfen. Wer wirklich abkassiert ist eigentlich Nebensache. Diese Wälder sind einfach einmalig und schützenswert, wie so vieles andere in diesem märchenhaften Land.
Der Zugang zum Vidra-See gestaltet sich zum Schluss noch etwas schwierig. Einer steilen Rampe folgen etwa hundertfünfzig Meter dichter Wald, der sich gerne wieder mal in unserer Lackierung verewigt. Ein kurzes Abschreiten der Strecke bringt mich aber zur Einsicht, dass wir das schaffen, denn es sind schon Dutzende andere Camper mit relativ grossen Wagen am See. Wie immer suchen wir uns einen Platz mit etwas Privatsphäre, also nicht gleich mitten drin im Lärm und Rauch der Partytreibenden. Zu Fuss überquere ich einen kleinen Zufluss zum See, um auf der anderen Seite den gewünschten Ort zu finden. Meine Co-Pilotin winkt ab. Hier durchzufahren geht doch nicht, der Creek ist zu steil und zu sandig. Also stellen wir uns einfach runter zum See. Wundert mich eh schon warum keiner da unten steht, aber alle oben am Waldrand kleben. Vermutlich suchen sie den Schatten, wir wollen aber Sonne, denn zur Zeit ist es immer noch ziemlich kühl.



Wir richten uns auf einen ruhigen gemütlichen Abend mit Seeblick ein. Doch es kommt anders. Beim abendlichen Spaziergang sehen wir einen Van der genau in dem Creek steckt, den wir mit dem Unimog gemieden haben. Zwei Fahrzeuge sind sogar schon auf die andere Seite gelangt. Es geht also schon, für den Van war es aber dennoch zu viel. Wir offerieren unsere Hilfe, sehen aber schnell, dass der Van nicht rückwärts aus dem Morast gezogen werden kann, ohne ihn ernsthaft zu beschädigen. Die Lösung ist der Zug über die lenkbare Vorderachse mit den Fahrzeugen, die bereits auf der anderen Seite stehen. Mit einem zwei Meter langen Drahtseil wird dies aber kaum gehen, viel zu kurz, um zum Van zu gelangen. Ich bringe mal mein zwölf Meter Truck-Bergegurt ins Spiel. Die Bruchlast von 35 Tonnen mag etwas überdimensioniert sein für die Situation und somit wirkt das Seil für alle Beteiligten gigantisch. Die Länge des Seils ist aber der ausschlaggebende Punkt und wird es dem Zugfahrzeug erlauben, oben auf hartem Untergrund anziehen zu können.
Es wird langsam dunkel und die Situation immer unüberschaubarer. Überall liegen grosse Gebinde an Bier und Softgetränken rum, die man vom havarierten Fahrzeug ausgeladen hatte. Es wuseln knapp zwei Dutzend Menschen umher. Helfer, Gaffer, Autobesitzer, Autofahrer und deren Cousins und Bekannte. Endlich haben die Autobesitzer bei beiden Fahrzeugen einen geeigneten Anschlagpunkt für den Bergegurt gefunden. Ab jetzt schaut man besser weg. Es wird so ziemlich gegen alle Regeln der Sicherheit verstossen. Gut gemeinte Hinweise werden in der Euphorie eines unmittelbar bevorstehenden Erfolges mal einfach ignoriert. Das kann man ja nachher bei einem weiteren Bier besprechen.

Es ist schon stockdunkel, als das Rettungsmanöver endlich beendet ist. Alle drei Fahrzeuge werden auch gleich wieder auf die «sichere» Seite zurückgeholt. Bergegurt sei Dank! Die Einladung zum selbst hergestellten Wein lassen wir auf Grund der vorgerückten Stunde mal sein. Das Seil bekommen wir zusammen mit einem grossen Dankeschön und herzlicher Umarmung wieder sauber zusammengerollt und fast feierlich zurückgereicht.
Für uns war dieser Einsatz eine lehrreiche Erfahrung. Wenn wir auch noch nicht selbst geborgen haben, waren zumindest schon mal unsere Gurte im Einsatz.
Nächster Blog: FRAME CHARITY: Besuch im Kinderheim
Comments