Nach sechs wundervollen Tagen und ruhigen Nächten verlassen wir irgendwie mit Wehmut unsere Piratenbucht südlich von Aguilas. Sich einen nur annähernd so tollen Platz auch für heute Abend wieder zu wünschen, ist wohl vermessen. Solche Plätze, wie hier am Piratenstrand, kommen nicht alle Tage. Das grobe Tagesziel liegt irgendwo in der Wüste Tabernas. Normalerweise wissen wir ja am Morgen schon ganz genau, wo wir am Abend stehen werden. Es macht das Fahren so viel entspannter, ein klares Fahrziel vor Augen zu haben. Heute ist hierfür aber wieder einmal eine Ausnahme. Die möglichen Stellplätze liegen nämlich allesamt im Naturschutzgebiet und ein Übernachten im Fahrzeug ist somit offiziell gar nicht erlaubt. In der Wintersaison wird es aber vermutlich nicht ganz so viele Kontrollen geben und je nach Standort wird ein Kurzaufenthalt oft auch geduldet.
Nach einem kurzen Einkaufsbummel in Vera fahren wir schon bald wieder auf die Mittelmeerautobahn A7 und kurz darauf auf die Nationalstrasse 340a in westlicher Richtung. Tabernas soll die einzige Wüste in Europa sein. Das macht uns neugierig. Wir lieben ja die Wüsten und denken dann natürlich schnell mal an unsere Erlebnisse in der Sahara, im Empty Quarter oder in der Wüste Gobi. Mit 30 Kilometer Grösse wird aber Tabernas kaum an unsere Vorstellungen von Wüste herankommen. Umso mehr sind wir nun gespannt, was Tabernas zu bieten hat.
Immer wieder fragen wir uns auf der Strecke, ob die Wüste hier wohl schon begonnen hat. Wir sehen aber dauernd bewirtschaftete Flächen, insbesondere Olivenhaine, die wir noch nicht mit einer Wüste in Einklang bringen können. Plötzlich sehen wir dann auf der rechten Seite ein grosses Hinweisschild mit der Aufschrift «Fort Bravo» und etwas weiter in der Ferne erspähen wir in übergrossen Lettern TEXAS HOLLYWOOD. Wir sind hungrig auf etwas Neues und Spannendes, also biegen wir spontan ab und finden uns unvermittelt im Wilden Westen.
Man kann sich das kaum vorstellen, dass hier tatsächlich Szenen von zahlreichen Spaghetti Western mit wohlklingenden Titeln produziert wurden. «Spiel mir das Lied vom Tod» oder «Indiana Jones», aber auch «Lawrence of Arabia» und «Cleopatra» hat die Region von Tabernas als Backdrop benutzt. Aber hier sehen wir das gleiche trostlose Bild, wie an Spaniens Stränden: Gähnende Leere! Immerhin schläft da noch einer an der Kasse und wäre auch bereit, uns zwei Eintritttickets zur verlotterten Westernstadt zu verkaufen. Vielleicht war es ein Fehler, dieses Angebot nicht anzunehmen. Mit dem Rücken zur Kasse schreite ich zurück zu unserem FRAME. Ich spüre förmlich die messerscharfen Blicke des Kassiers von hinten auf mich gerichtet. Und schon bin ich mitten drin in der filmreifen Story, einem unerbittlichen Duell mit dem gähnenden Kassier a.k.a. «fauler Geldsack». Ein schnelles Umdrehen bringt mir hier aber nichts, denn ich bin komplett unbewaffnet. Immerhin habe ich aber mein treues Pferd gleich vor mir stehen und ergreife feige die Flucht hinter den gepanzerten Scheiben meines Unimogs...
Es ist bereits später Nachmittag und es wird höchste Zeit einen Standplatz zu finden. Einige Kilometer weiter fahren wir zu einem weiteren Western Themenpark, dem Oasys MiniHollywood. Wir sind auf der Suche des Hangman Trees, nicht weil wir es makaber mögen, sondern weil er uns rein photographisch interessiert. So ein Galgenbaum ist doch der Inbegriff einer dürren Wüste, wie auch für die hier spürbare Western-Luft. Für heute wird das aber nichts mehr. Etwas oberhalb der Kulissenstadt finden wir ein tolles Plätzchen in Abgeschiedenheit. Wir zögern zwar noch kurz, weil wir eben auch hier im Nationalpark Territorium stehen, aber wir wagen es doch.
Für heute Nacht ist für mehrere Stunden 90 Prozent Regen vorausgesagt. An einem Ort, wo man jährlich dreitausend Sonnenstunden zählt, ist das ja mal eine ernüchternde Ansage. Wir sind uns den möglichen Auswirkungen durchaus bewusst und überprüfen unseren Übernachtungsplatz akribisch genau auf Überschwemmungsgefahr, Rutschfestigkeit und potentielle Gerölllawinen. Die Spannung bleibt also auch diesen Abend hoch;-) Bei uns läuft in Sachen Wetter dann immer auch gleich eine Wette, wer nun wohl die bessere Wetterprognosen- App hat. Diesmal hat Brigitte klar gewonnen, denn ausser ein paar mickrige Tropfen am folgenden Morgen kam da nämlich überhaupt kein Nass vom Himmel.
Die Hangman Tree Suche wird am folgenden Morgen fortgesetzt. Gemäss Google soll sich der skurrile Baum an einem Ort befinden, der am ehesten über einen Flusslauf erreichbar ist. Diesen Weg konnten wir natürlich am Vorabend mit drohendem Regen nicht riskieren. Heute sieht das Wetter aber wieder durchwegs entspannt aus und somit fahren wir dieses nun nicht mehr ganz ausgetrocknete Flussbett gleich mit unserem Fahrzeug hinauf. Vom Baum aber immer noch keine Spur. Schliesslich finden wir ihn am Boden liegend unter einer Strassenbrücke zusammen mit vielen ausrangierten Filmrequisiten. Also selbst ein unschuldiger Baum ist hier nur künstliche Kulisse. Hollywood lässt grüssen.
Die Fahrt führt uns ab hier ausnahmsweise mal Richtung Norden. Wir folgen einer Empfehlung von Freunden und wollen die angeblich tollste off-road Strecke Spaniens nördlich von Gorafe auf keinen Fall verpassen. Die Tabernas Wüste, die wir gestern noch so krampfhaft rund um die gleichnamige Ortschaft gesucht haben, zeigt sich uns nun bestenfalls heute zwischen Spanisch-Hollywood und der Ortschaft Gergal. Es sind kaum zehn Kilometer, auf welchen man sich ein bisschen in der Wüste fühlen kann. Nicht falsch verstehen, Tabernas ist eine spezielle Gegend und durchaus einen (kleinen) Umweg wert, aber das grosse WOW kann es uns noch nicht von den Lippen locken.
Kurz vor Guadix wird die Strecke dann erneut eindrücklich. Es ist dies die Gegend der Höhlenbehausungen. Zahlreiche dieser unterirdischen Wohnungen sind auch im 21. Jahrhundert noch bewohnt. Über 4'000 Menschen leben heute noch in einem Mix von Moderne und Urzeit, denn sie haben Internet, TV, Strom auch in den natürlichen Erdhäusern. Im Grunde genommen ist die Vergangenheit ja auch die Zukunft, wie in so vielen Dingen. Erdhäuser haben nämlich sowohl im Winter, wie im Sommer konstante 18-20°C und brauchen daher weder Heizung noch Klimaanlage, sind also äusserst nachhaltig. Auch haben sie die beste Lärmisolierung, man hört da angeblich weder den Nachbarn, noch irgendwelchen Zivilisationslärm.
Wir fahren aber vorerst mal direkt in die Halbwüste von Gorafe und stellen uns für eine erste Nacht gleich über dem Dorf auf die Klippen. Was uns die Natur hier wieder einmal bietet, ist schlichtweg atemberaubend. Wir bezeichnen uns ja nicht gerade als Städter, sind eher so die Vorstadt-Kinder mit gesundem Bezug zur Natur. Trotzdem überwältigt uns ein Anblick und Weitblick, wie hier, über Gorafe, immer wieder auf's Neue.
Die Erosion hat hier ein Labyrinth aus tiefen Schluchten geschaffen. In der Ebene zwischen den Bergen Sierra Nevada, Sierra de Baza und Sierra de Cazorla befand sich vor Tausenden von Jahren ein See, dessen Sedimentschichten nach dem Austrocknen des Sees durch Erosion teilweise freigelegt wurden. Heute bieten die verschiedenfarbigen Schichten ein beeindruckendes Farbenspiel. Besonders bekannt ist die rot-ocker-weiße Felswand von Los Coloraos. Die Gegend scheint unwirtlich zu sein, aber tatsächlich ist das Desierto del Gorafe seit der Bronzezeit bewohnt, wie die Entdeckung von 240 Megalithanlagen beweist.
Nach der zweiten Nacht an diesem magischen Ort, zieht es uns aber trotzdem schon wieder weiter. Wir haben gelernt, dass man sich nicht allzu schnell zufrieden geben soll. Denn die Natur kennt in Sachen Schönheit einfach keine Grenzen. Zumindest wirkt sie auf uns immer wieder grenzenlos faszinierend, noch imposanter, noch eindrücklicher.
Der von uns ausgemachte off-road Loop ist etwa zwanzig Kilometer lang und endet in Villanueva de las Torres. Wie sich auf der Strecke aber herausstellt, ist die Strecke zwar nicht geteert, wirklich off-road, wie sich das unser Unimog vorstellt, ist sie aber auch nicht. Die Spanier fahren diese Strecke jedenfalls auch mit ihren Pws, somit ist der Schwierigkeitsgrad für Overlander bestenfalls mit superleicht einzustufen. Mit einer Ausnahme, der steilen und für unsere Grösse engen Abfahrt am Mirrador del Coloraos. Die war auch für uns fahrtechnisch gesehen spannend und mit einer etwas höheren Adrenalin Ausschüttung verbunden. Nach gerade mal sechs Kilometern haben wir wieder eine kleine Plattform erreicht, die uns die Weiterfahrt verunmöglicht. Sie lädt uns ein für eine Nacht in wilder Natur, ganz ohne irgendwelche Zeichen unserer Zivilisation. Die Schönheit der Strecke insgesamt lässt sich schlecht in Worte fassen, daher haben wir sie im folgenden Video festgehalten.
Nach drei Tagen in dieser wilden Abgeschiedenheit erreichen wir dann wieder die Menschheit. Irgendwie haben wir sie so gar nicht vermisst. Beim Durchfahren des ersten Olivenhains kurz vor Villanueva de las Torres pflückt sich Brigitte eine Olive direkt beim Vorbeifahren aus dem Fenster. Wenn sie gut sind, können wir beim Bauer oder im Dorf vielleicht ein Glas davon erstehen. Test durchgefallen. Sie schmecken ihr nicht, vermutlich noch viel zu unreif.
Jetzt geht es zurück auf unsere Strecke Richtung Süden. Schliesslich wollen wir in den nächsten Tagen endlich mal nach Marokko gelangen. Wir sind nun schon drei Wochen unterwegs, sind zirka zweitausend Kilometer gefahren, es fehlt uns also nicht mehr wirklich viel bis zu unserem Ziel nach Afrika. Worauf wir uns aber schon lange gefreut haben, ist die Durchquerung der Sierra Nevada. Bis jetzt sind wir nämlich immer nur an ihrem Rande vorbeigehuscht. Auf dem Weg dahin machen wir noch eine kleine Stadtrundfahrt durch Guadix, dann kurz auf die Autobahn und schon zweigen wir auf die Nationalstrasse A337. Diese ist eine unglaublich gut ausgebaute und menschenleere Passstrasse quer durch die östliche Sierra Nevada. Gemäss Strassenkarte ist dies überhaupt die einzige Möglichkeit diese Gebirgskette motorisiert zu durchqueren. Im Sommer wird es hier wohl etwas mehr Verkehr haben, die Strecke scheint uns speziell für Biker interessant zu sein. Jetzt sind wir hier, einmal mehr, komplett alleine. Auf rund 1'700M ü.M. beziehen wir unser Nachtlager. Wir sind zwar noch nicht ganz auf dem Pass angelangt, aber Park4Night empfiehlt uns einen hochdotierten Standplatz. Einmal mehr sind wir begeistert. Vor uns die nun bereits schneebedeckten Dreitausender der Sierra Nevada, hinter uns das Lichtermeer der Umgebung von Guadix. Auch der heutige Abend bietet uns wieder ein Wetterschauspiel der Extraklasse. In der Nacht wird es dann aber eher stürmisch und am nächsten Morgen scheint auch schon wieder die Sonne.
Wir diskutieren kurz, ob wir hier noch einen Tag bleiben, oder nun doch wieder zurück ans Meer fahren wollen. Die Temperaturen der letzten Nacht waren aber klar unter unserem Limit, ja schon nahe an der Schneefallgrenze, daher viel der Entscheid doch relativ einfach.
Beim Wegfahren versetzt uns unser Unimog wieder einmal einen Schrecken. Kurz nach dem Start verlieren wir unerwartet Druckluft in der niedrigen Übersetzung. In Anbetracht der Tatsache, dass auch unser Bremssystem mit Druckluft funktioniert, ist dies keine erfreuliche Feststellung am Berg. Interessanterweise betrifft es aber nur die Gänge eins bis vier, ab Gang fünf stimmt der Druck einwandfrei. Wir tasten uns langsam den Berg hinauf, bleiben aber konstant im fünften oder höher. Neben dem Blick auf die Strasse, die Felsvorsprünge, den Tacho und den Rückspiegel halte ich also auch meine Druckluftanzeige in Schach. Bei gut 2'000M ü.M. haben wir dann die Passhöhe erreicht. Ohne Gewissheit, dass mein Druck nun auch in den tieferen Gängen stabil ist, wage ich es natürlich nicht die Abfahrt in Angriff zu nehmen. Auf der Passhöhe drehen wir unzählige Runden und schalten rauf und runter. Die wenigen Menschen um uns herum fragen sich natürlich bereits, was der idiotische Unimogfahrer aus der Schweiz denn hier mit seinem Getöse bewirken will.
Der Druck stimmt nun in allen Lagen. Also, runter gehts ans Meer. Natürlich ein grosses Stück langsamer und vorsichtiger als sonst und mit dem Blick alle paar Sekunden über die entsprechende Anzeige huschend.
Unser nächstes Ziel ist Malaga, respektive Benalmadena, wo wir uns mit Iulia, einer lieben Bekannten aus Rumänien verabredet haben. Iulia hat sich spontan bereit erklärt, unsere Drohnen-Sitterin zu sein. Drohnen sind nämlich in Marokko strengstens verboten und das Risiko, dass die Drohne am Zoll konfisziert wird, scheint mit den heutigen Durchleuchtungsmethoden relativ gross zu sein. Zu gross gemäss unserer Einschätzung. Natürlich schmerzt uns das als Vlogger, unsere Drohne im wunderschönen Marokko nicht mit uns haben zu dürfen. Wir werden dieses Manko aber mit Actionfilmen mithilfe unserer GoPro wettmachen. Versprochen!
Malaga vom Gibralfaro, den wir mit dem Unimog bezwungen haben!
In Benalmadena gönnen wir uns dann wieder einmal ein fremdländisches Abendessen. Heute sitzen wir ganz alleine beim Inder. Alleine, weil unser grosser Hunger es uns nicht erlaubt hat, bis zur spanischen Essenszeit um neun oder zehn Uhr zu warten.
Das Kribbeln unter den Nägeln wird täglich grösser. Wir wissen, wir sind nur noch wenige Tage von unserer Überfahrt nach Afrika entfernt. Die Costa del Sol fahren wir dann sozusagen auf der Überholspur hinunter. Nicht zuletzt, da das Wetter nun immer nasser wird und uns die Küste nicht sonderlich fasziniert. Hotels stehen hier vermehrt in der zweiten Reihe, denn unsere Autobahn zwängt sich zwischen Strand und den Hotelbunker hindurch. Erst in Marbella kommt wieder etwas Ferienluxus auf. Ein paar schöne Hotels links, ein Golfklub rechts und immer wieder bezaubernde Palmenalleen, einfach ein gepflegteres Strassenbild. Wir lassen es uns daher nicht nehmen, auch mit unserem Truck mitten durch Marbella durchzufahren.
In der Hafenstadt Algeciras fahren wir dann am Freitag zu Carlos. Er ist DER Fährenticket Verkäufer unter den Overlander. Man liest in den Foren wirklich nur Gutes über ihn und seine Viajes Normandie. Wir sind überrascht, dass wir nicht eine bestimmte Abfahrtszeit buchen müssen, sondern mit dem Ticket einfach zum Hafen fahren können, um das nächst mögliche Schiff zu chartern. Der Wetterbericht ist äusserst schlecht für die ganze kommende Woche. Nur morgen Samstag bietet sich mehr oder weniger Gewähr, sturmfrei nach Marokko rüber zu kommen. Diese Chance wollen wir nutzen, denn wir hatten in der Vergangenheit beide schon Schwierigkeiten mit Schaukelpartien auf dem Meer. Die letzte Nacht standen wir noch mit Blick auf den Felsen von Gibraltar, etwa zwanzig Kilometer vom Hafen entfernt. Für die heutige Nacht stellen wir uns ganz in der Nähe vom Hafen auf einen öffentlichen, aber trotzdem äusserst ruhigen Parkplatz in kurzer Distanz zu unserer Fähre.
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